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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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aufzugeben und den Mord an Orlow auf einen anderen Tag zu verschieben.
    Aber das wollte Felix nicht. Erstens hatte er keine Gewähr, daß sich eine so gute Gelegenheit noch einmal ergeben würde. Und zweitens wollte Felix ihn jetzt töten. Er hatte sich schon auf den Knall des Revolvers und das Zusammensinken des Fürsten gefreut, hatte den Text des verschlüsselten Telegramms an Ulrich in Genf zusammengestellt, sich die Aufregung in der kleinen Druckerei und die Schlagzeilen in den Zeitungen der Welt ausgemalt, die entscheidende, ganz Rußland überschwemmende Welle der Revolution vorausgesehen. Ich kann es einfach nicht verschieben, hämmerte er sich ein. Es muß jetzt geschehen.
    Während er die Leute beobachtete, trat ein junger Mann in grüner Livree zum Waidenschen Kutscher und fragte:
    »Wie steht’s, William?«
    Der Kutscher heißt also William, stellte Felix fest.
    William sagte: »Du brauchst dich nicht mehr zu beklagen, John.« Das verstand Felix nicht.
    »Irgendwas Neues in der Zeitung?« fragte John.
    »Ja, Revolution. Der König hat gesagt, nächstes Jahr können alle Kutscher in den Palast zum Essen gehen, und die Fatzken warten auf der Mall.«
    »Schön wär’s.«
    »Das will ich meinen.«
    John ging weiter.
    Mit William kann ich fertig werden, überlegte Felix, aber was mache ich mit dem Lakaien?
    Er stellte sich vor, wie es möglicherweise verlaufen könnte. Waiden und Orlow würden aus dem Palast treten. Der Türsteher würde Waidens Lakai rufen, der dann vom Palast zum Wagen laufen müßte – eine Distanz von etwa einer Viertelmeile. Der Lakai würde Felix in der Uniform des Kutschers sehen und Alarm schlagen.
    Nehmen wir einmal an, der Lakai käme zum Parkplatz, und der Wagen wäre nicht mehr da?
    Das war eine Idee!
    Der Lakai würde sich zuerst fragen, ob er sich nicht richtig an den Standplatz erinnere. Er würde sich umschauen. Er würde in Panik geraten und überall nach dem Wagen suchen. Schließlich würde er sich geschlagen geben, zum Palast zurückkehren und seinem Herrn sagen, daß er den Wagen nicht finden könne. Aber um diese Zeit wäre Felix bereits mit dem Wagen und seinen Insassen im Park.
    Es war immer noch zu schaffen!
    Das Risiko wäre zwar größer als vorher, aber es war noch zu schaffen.
    Jetzt hatte er keine Zeit mehr für weitere Überlegungen. Die ersten Lakaien kamen bereits die Mall heruntergerannt. Der Rolls-Royce vor der Waidenschen Kutsche wurde aufgerufen. William setzte sich seinen Zylinder auf und hielt sich bereit.
    Felix trat hinter den Büschen hervor, machte ein paar Schritte auf ihn zu und rief: »He da, he da, William!«
    Der Kutscher blickte stirnrunzelnd in seine Richtung.
    Felix nachte eine dringliche Geste. »Kommen Sie mal, schnell!«
    William faltete seine Zeitung zusammen, zögerte und ging dann langsam auf Felix zu.
    Felix legte ein wenig der in ihm aufsteigenden Spannung in seine Stimme, gab ihr einen leicht panischen Klang.
    »Schauen Sie sich das an!« sagte er und zeigte auf die Büsche. »Wissen Sie, was das ist?«
    »Was?« fragte William befremdet. Er kam näher und blickte in die von Felix bezeichnete Richtung.
    »Das!« Felix hielt ihm den Revolver vor.
    »Wenn Sie das geringste Geräusch machen, erschieße ich Sie.« William war zu Tode erschrocken. Felix sah das Weiß seiner Augen im Halbdunkel. Er war ein kräftig gebauter Mann, aber älter als Felix. Falls er Dummheiten macht und mir die Sache verpatzt, lege ich ihn um, entschied Felix wild entschlossen.
    »Weitergehen«, sagte er.
    Der Mann zögerte.
    Ich muß ihn aus dem Licht kriegen. »Weitergehen, du Scheißkerl!« William trat in die Büsche.
    Felix folgte ihm. Als sie sich etwa fünfzig Meter von der Mall entfernt hatten, befahl Felix: »Stehenbleiben!«
    William blieb stehen und drehte sich um.
    Felix überlegte: Falls er sich zur Wehr setzt, wird er es hier tun. »Zieh dir die Kleider aus«, herrschte er ihn an.
    »Was?«
    »Ausziehen!«
    »Sie sind ja verrückt«, flüsterte William.
    »Ganz recht – ich bin verrückt! Zieh die Kleider aus!«
    William zögerte.
    Wenn ich ihn erschieße, werden dann die Büsche den Schall dämpfen? Kann ich ihn erschießen, ohne ihm ein Loch in die Uniform zu brennen? Kann ich ihm die Jacke herunterreißen und wegrennen, bevor jemand kommt?
    Felix ließ den Hahn des Revolvers schnappen.
    William begann sich auszuziehen.
    Felix hörte die zunehmende Geschäftigkeit auf der Mall. Automotoren wurden angelassen, Pferdegeschirre klirrten, Hufe

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