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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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mit lautem Gepolter hinunter. Einen Augenblick später erschien seine Zimmerwirtin in einen Schal gehüllt an der Tür.
    »Was, zum Teufel, soll denn das?« rief sie ihm zu.
    Felix saß auf den Stufen und antwortete nicht. Er beschloß, sich eine Weile nicht zu bewegen, bis er sich wieder kräftiger fühlte.
    Mrs. Callahan kam herunter und half ihm auf die Beine.
    »Sie haben einen über den Durst getrunken«, sagte sie vorwurfsvoll. Sie führte ihn die Stufen hinunter bis zur Tür des Untergeschosses.
    »Geben Sie mir mal Ihren Schlüssel«, forderte sie ihn auf. Felix mußte die linke Hand benutzen, um den Schlüssel aus seiner rechten Hosentasche zu ziehen. Er gab ihn ihr, und sie öffnete die Tür. Sie traten ein. Felix stand in der Mitte des kleinen Zimmers, während sie die Lampe anmachte.
    »Jetzt ziehen wir uns mal schön den Mantel aus«, sagte sie.
    Er ließ sich von ihr aus dem Mantel helfen, und sie sah die Blutflecken. »Hatten Sie eine Schlägerei?«
    Felix streckte sich auf seiner Matratze aus.
    Mrs. Callahan sagte: »Sieht mir so aus, als hätten Sie verloren.«
    »Habe ich auch«, sagte Felix und wurde ohnmächtig.
    Ein stechender Schmerz brachte ihn wieder zu sich.
    Er öffnete die Augen und sah Mrs. Callahan, die ihm die Wunden mit etwas auswusch, das wie Feuer brannte. »Die Hand sollte genäht werden«, sagte sie.
    »Morgen«, hauchte Felix.
    Sie brachte ihm ein Getränk in einer Tasse. Es war warmes Wasser mit Gin. »Cognac habe ich nicht«, sagte sie.
    Er legte sich zurück und ließ sich von ihr verbinden.
    »Ich könnte den Arzt holen, aber bezahlen kann ich ihn nicht.«
    »Morgen.«
    Sie stand auf. »Ich werde gleich morgen früh nach Ihnen schauen.«
    »Danke.«
    Sie ging hinaus, und endlich konnte Felix sich seinen Erinnerungen überlassen.

    Im Verlauf der Zeiten ist es geschehen, daß alles, was den Menschen gestattet, ihre Produktion zu steigern oder einfach nur fortzusetzen, von wenigen in Besitz genommen wurde. So gehört das Land, dessen Wert gerade darin besteht, eine stets zunehmende Bevölkerung zu ernähren, jenen wenigen, die es willkürlich der Behauung durch die Gemeinschaft entziehen können. Die Kohlengruben, die die Arbeit von Generationen darstellen, gehören auch den wenigen, die sogar das Recht haben, die Förderung der Kohle einzustellen, wenn es ihnen gefällt, ihr Kapital auf andere Weise anzulegen. Der mechanische Webstuhl, der sein jetziges Stadium der Vollkommenheit drei Generationen von Webern in Lancashire verdankt, gehört ebenfalls den wenigen; und wenn die Enkel des Webers, der den ersten mechanischen Webstuhl erfunden hat, das Recht fordern, eine dieser Maschinen in Betrieb zu setzen, so sagt man ihnen: »Hände weg! Diese Maschine gehört euch nicht!« Die Eisenbahnen gehören einigen wenigen Aktionären, die vielleicht nicht einmal wissen, wo jene Eisenbahnlinie liegt, die ihnen ein größeres jährliches Einkommen als das eines Königs im Mittelalter einbringt. Und wenn sich die Kinder jener, die sich zu Tausenden beim Graben der Tunnel zu Tode geschuftet haben, zusammenschließen und Brot oder Arbeit von den Aktionären fordern, so wird man ihnen mit Bajonetten und Kugeln antworten.
    Felix blickte von dem Pamphlet Kropotkins auf. Die Buchhandlung war leer. Der Buchhändler, ein alter Revolutionär, der sich sein Geld mit dem Verkauf von Romanen an wohlhabende Damen verdiente, verwahrte in seinem Hinterzimmer massenweise umstürzlerische Schriften. Felix verbrachte viel Zeit bei ihm.
    Er war neunzehn Jahre alt und im Begriff, von der berühmten Akademie für Geisteswissenschaften wegen Schulschwänzerei, Disziplinlosigkeit, langer Haare und Umgangs mit Nihilisten verwiesen zu werden. Er hungerte, hatte kein Geld und bald auch kein Heim mehr, und doch war das Leben wunderbar. Er interessierte sich nur für Ideen und jeden Tag lernte er etwas Neues über Poesie, Geschichte, Psychologie und – vor allem – Politik.
    Die Gesetze über den Besitz sind nicht dazu geschaffen, dem Einzelmenschen oder der Gesellschaft den Genuß des Ertrags ihrer eigenen Arbeit zu garantieren. Ganz im Gegenteil, sie sind einzig und allein dazu bestimmt, den Produzenten eines Teils dessen, was er geschaffen hat, zu berauben, und dafür gewissen anderen Leuten die Erträge, die sie den Produzenten oder der Gesellschaft gestohlen haben, zu sichern. Wenn das Gesetz zum Beispiel einem Herrn Soundso das Recht auf ein Haus zuspricht, so bestimmt es damit nicht sein Recht auf eine

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