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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Wohnstätte, die er sich selbst errichtet oder mit Hilfe einiger seiner Freunde gebaut hat. In einem solchen Falle würde ihm jemand dieses Recht streitig machen. Nein, ganz im Gegenteil, das Gesetz bestimmt sein Recht auf ein Haus, das nicht das Produkt seiner Arbeit ist.
    Die anarchistischen Parolen waren ihm lächerlich erschienen, als er sie zum erstenmal gehört hatte: Besitz ist Diebstahl, Regierung ist Tyrannei, die Anarchie ist Gerechtigkeit. Und es war erstaunlich, daß sie ihm nach längerem, gründlichem Nachdenken nicht nur wahr, sondern ganz klar und selbstverständlich vorkamen. Kropotkins Standpunkt über die Gesetze war völlig einleuchtend. Im Dorf, in dem Felix aufgewachsen war, bedurfte es keines Gesetzes gegen Diebstahl. Wenn ein Bauer einem anderen das Pferd oder einen Stuhl oder den von seiner Frau bestickten Mantel stahl, so sah das ganze Dorf den Schuldigen im Besitz des gestohlenen Guts und zwang ihn, es zurückzugeben. Der einzige wirkliche Diebstahl fand statt, wenn der Landbesitzer seine Miete forderte, und dann war der Polizist da, um diesen Diebstahl durchzusetzen. Das gleiche galt für die Regierung. Die Bauern brauchten niemanden, um ihnen zu sagen, wie der Pflug und die Ochsen unter ihren Feldern aufgeteilt werden sollten: Das beschlossen sie selbst. Nur zum Bepflügen der Felder des Landbesitzers mußte man sie zwingen.
    Man erzählt uns ständig von den Wohltaten des Gesetzes, aber haben die, die so reden, je die angeblichen Wohltaten des Gesetzes und der Strafen gegen die entwürdigenden Auswirkungen dieser Strafen auf die Menschheit abgewogen? Man berechne nur einmal all die bösen Leidenschaften, die die scheußlichen, auf unseren Straßen verübten Bestrafungen in der Menschheit erwecken! Der Mensch ist das grausamste Tier auf Erden. Und wer hat die grausamen Instinkte gefördert und entwickelt? Der König, der Richter und die Priester, die kraft des Gesetzes Menschen streifenweise das Fleisch vom Körper reißen, kochendes Öl in die Wunden gießen, Glieder abhacken, Körper zersägen ließen, um ihre Autorität zu behaupten. Man schätze nur die Flut der Verdorbenheit, die in der menschlichen Gesellschaft durch die Spitzelei entfesselt wird, welche unter dem Vorwand, sie helfe bei der Entdeckung von Verbrechen, von den Richtern gefördert und von den Regierungen in harter Münze bezahlt wird. Man gehe nur einmal in die Gefängnisse und schaue sich an, was aus einem Menschen wird, wenn er seiner Freiheit beraubt und mit anderen verkommenen Wesen eingesperrt ist, versunken im Laster und der Korruption, die geradezu aus den Mauern unserer Kerker schwitzt. Und endlich ziehe man in Betracht, welche Verderbtheit, welche Korruptheit den Menschen mit dem Gedanken an den Gehorsam, dem eigentlichen Wesen des Gesetzes, anerzogen wird: Der Glaube an Züchtigung; an die Autorität, die das Recht hat, zu bestrafen; an ein Urteil, das sich nicht um unser Gewissen und die Achtung unserer Freunde bekümmert; an die Notwendigkeit der Henker, der Kerkermeister und der Spitzel; kurz all der Attribute des Gesetzes und der Autorität. Man denke darüber nach, und dann wird man uns sicher zustimmen, wenn wir sagen daß ein Gesetz, das Bestrafungen verhängt, eine Abscheulichkeit ist, die abgeschafft werden muß.
    Völker ohne politische Organisation, die demnach weniger verdorben als wir sind, haben klar begriffen, daß der Mensch, den man einen »Verbrecher« nennt, nur unglücklich ist, und daß man ihn nicht heilt, indem man ihn auspeitscht, ihn in Ketten legt oder ihn auf dem Schafott oder im Gefängnis umbringt, sondern indem man ihm auf die brüderlichste Art hilft, durch eine auf Gleichheit gegründete Behandlung durch die Lebensgebräuche unter ehrlichen Menschen.
    Felix merkte kaum, daß jemand in den Laden getreten war. Zu sehr war er mit Kropotkin beschäftigt.
    Keine Gesetze mehr! Keine Richter mehr! Freiheit, Gleichheit und praktisch geübtes menschliches Wohlwollen sind die einzigen wirksamen Schranken, die wir den antisozialen Instinkten einiger unter uns entgegenstellen können.
    Der Kunde ließ ein Buch fallen, und Felix wurde in seinen Gedanken unterbrochen. Er wandte den Blick von der Broschüre ab, sah das Buch am Boden liegen, neben dem langen Rock der Kundin, bückte sich automatisch, um es für sie aufzuheben. Als er es ihr übergab, sah er ihr Gesicht.
    Er erstarrte. »Ein Engel!« schoß es ihm durch den Kopf.
    Sie war blond und zierlich, trug einen blaßgrauen Pelz von der

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