Der Mann Aus St. Petersburg: Roman
die Bestandteile des Nitroglyzerins in verschiedenen Läden gekauft haben; und falls wir diese Läden ausfindig machen können, wissen wir, wo wir in London nach ihm suchen müssen.«
Waiden war beeindruckt. Es war ihm noch nicht aufgefallen, daß der Attentäter so viele Spuren hinterlassen hatte. Er begann sich besser zu fühlen.
Thomson wandte sich an einen jungen Mann mit Filzhut und weichem Kragen. »Taylor, Sie haben die wichtigste Aufgabe. Lord Waiden und ich haben den Mörder nur kurz gesehen, aber Lady Waiden hat ihn sich länger und aufmerksamer angeschaut. Sie werden uns zu Lady Waiden begleiten und mit ihrer und unserer Hilfe eine Zeichnung von dem Mann anfertigen. Das Bild wird noch heute abend gedruckt und bis morgen mittag an alle Polizeiposten in London verteilt werden.«
Jetzt kann uns der Mann nicht mehr entkommen, dachte Waiden. Aber dann erinnerte er sich, daß er das gleiche geglaubt hatte, als sie ihm im Hotelzimmer die Falle stellten, und er begann wieder zu zittern.
Felix blickte in den Spiegel. Er hatte sich das Haar ganz kurz schneiden lassen, wie ein Preuße, und er hatte sich die Augenbrauen ausgezupft, bis sie nur noch dünne Striche waren. Ab heute würde er sich nicht mehr rasieren, und in einer Woche würden Schnurr-und Backenbart sein charakteristisches Kinn und seinen Mund verbergen. Leider konnte er nichts an seiner Nase ändern. Er hatte sich eine gebrauchte Drahtbrille gekauft. Die Gläser waren klein, und er konnte über den Rand sehen. Seinen steifen Hut und den schwarzen Mantel hatte er gegen eine Matrosenjacke und eine Tweedmütze eingetauscht.
Bei genauerem Hinsehen würde man ihn vielleicht noch erkennen, aber aus einiger Entfernung wohl kaum.
Daß er nicht mehr bei Bridget wohnen konnte, war ihm klar. Er hatte alle seine Chemikalien in der Umgebung eingekauft, und sobald das der Polizei bekannt wurde, würde sie jedes Haus durchsuchen. Früher oder später mußten sie auch in seine Straße kommen, und einer der Nachbarn würde bestimmt sagen: »Ja, den kenne ich, der wohnt im Keller bei Mrs. Callahan.«
Er war wieder auf der Flucht. Es war demütigend und deprimierend. Gewiß, er war schon oft auf der Flucht gewesen, aber immer erst, nachdem er jemanden umgebracht hatte, und nicht vorher.
Er nahm sein Rasiermesser, seine Ersatzunterwäsche, sein selbstgebasteltes Dynamitpäckchen und sein Buch mit den Erzählungen Puschkins und wickelte alles in sein sauberes Hemd. Dann begab er sich in Mrs. Callahans Wohnzimmer.
»Ach du meine Güte«, rief sie aus. »Was haben Sie mit Ihren Augenbrauen angestellt? Sie waren doch ein so hübscher Mann.«
»Ich muß ausziehen«, sagte er.
Sie blickte auf sein Bündel. »Das sehe ich an Ihrem Gepäck.«
»Falls die Polizei kommt, brauchen Sie sie nicht anzulügen.«
»Ich werde sagen, ich hätte Sie rausgeschmissen, weil ich Sie für einen Anarchisten hielt.«
»Leben Sie wohl, Bridget.«
»Nehmen Sie die blöde Blechbrille ab, und geben Sie mir einen Kuß.«
Felix küßte sie auf die Wange und ging hinaus.
»Viel Glück, mein Junge«, rief sie ihm nach.
Er nahm sein Fahrrad, und machte sich zum drittenmal seit seiner Ankunft in London auf Wohnungssuche.
Er radelte langsam. Er fühlte sich nicht mehr schwach wegen der Verletzungen, sondern war niedergeschlagen und mutlos wegen seines Versagens. Er durchquerte North London und die City und fuhr dann über die London Bridge ans andere Ufer der Themse. Dort schlug er die südöstliche Richtung ein und kam an einem Pub namens Elephant and Castle vorbei.
In der Gegend der Old Kent Road fand er ein geeignetes Viertel, wo er eine billige Unterkunft bekommen konnte, ohne viele Fragen beantworten zu müssen. Er mietete ein Zimmer im vierten Stock eines baufälligen Wohnhauses, dessen Besitzer – wie ihm der Hauswart feierlich erklärte – die Church of England war. Hier konnte er kein Nitroglyzerin herstellen, denn sein Zimmer hatte kein fließendes Wasser. Es gab im ganzen Haus keins – nur eine Ziehpumpe und ein Plumpsklosett auf dem Hof.
Das Zimmer war düster. Die Mausefalle in der Ecke stand bestimmt nicht zufällig da, und eines der Fenster war mit Zeitungspapier verdeckt. Die Farbe bröckelte von den Wänden, und die Matratze stank. Der Hauswart, ein gebeugter, dicker Mann in Filzpantoffeln, der ständig hüstelte, sagte: »Falls Sie das Fenster reparieren wollen, kann ich Ihnen billiges Glas besorgen.«
»Wo kann ich mein Fahrrad unterstellen?« fragte Felix.
»Ich
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