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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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würde.
    Dichterer Verkehr an der Holloway Road gab ihm eine kurze Verschnaufpause, aber dann beschleunigte der Wagen das Tempo auf der Seven Sisters Road. Felix radelte so schnell er konnte. Jeden Augenblick konnte der Wagen von der Hauptstraße abbiegen, und vielleicht waren sie nahe beim Ziel. Ich brauche nur ein bißchen Glück, sagte er sich. Er nahm all seine Kräfte zusammen. Die Beine taten ihm weh, und sein Atem ging schwer. Der Wagen fuhr immer rascher. Als die Distanz bereits über hundert Meter betrug und sich ständig vergrößerte, gab er auf.

    Er machte am Straßenrand halt, blieb auf dem Rad sitzen, den linken Fuß auf den Bordstein gestutzt, und versuchte sich zu erholen. Er fühlte sich schwindlig.
    So geht es immer, überlegte er mit Bitterkeit. Die herrschende Klasse macht sich den Kampf bequem. Da sitzt dieser Waiden behaglich in einem großen Wagen und raucht eine Zigarre und braucht nicht einmal zu steuern.
    Waiden verließ offensichtlich die Stadt. Orlow konnte überall sein, vielleicht eine halbe Tagesreise entfernt. Felix fühlte sich wieder einmal geschlagen.
    Er machte kehrt und fuhr zum St. James’s Park zurück.

    Charlotte war immer noch von Mrs. Pankhursts Rede aufgewühlt. Natürlich mußte es Leid und Elend geben, solange alle Macht in den Händen der einen Hälfte der Menschheit war und solange diese eine Hälfte kein Verständnis für die Probleme der anderen hat, dachte sie. Die Männer sind für eine brutale und ungerechte Welt, weil sich die Brutalität und Ungerechtigkeit nicht gegen sie, sondern nur gegen die Frauen richtet. Wenn die Frauen die Macht hätten, gäbe es keine Unterdrückung mehr.
    Am Tage nach der Versammlung der Frauenrechtlerinnen war sie ausschließlich mit solchen Gedanken beschäftigt. Sie sah alle Frauen ihrer Umgebung -Dienerinnen, Ladenangestellte, Kinderschwestern im Park, sogar ihre Mama – in einem neuen Licht. Sie hatte das Gefühl, endlich zu begreifen, wie es in der Welt zuging. Sie nahm es Mama und Papa nicht mehr übel, daß sie ihr die Wahrheit vorenthalten hatten. Schließlich hatte Papa ganz ehrlich zu ihr gesprochen, obwohl es ihm peinlich gewesen war. Doch nun war es an ihr, sich selbst Klarheit zu verschaffen.
    Am Vormittag besorgte sie sich durch einen einfachen Trick ein wenig Geld. Sie ging mit einem Lakai einkaufen und sagte zu ihm: »Geben Sie mir einen Shilling.« Später, als er mit dem Wagen vor dem Haupteingang von Liberty’s in der Regent Street wartete, entschlüpfte sie durch einen Nebeneingang und ging in die Oxford Street, wo sie eine Frau fand, die die Frauenrechtlerinnenzeitung Frauenwahlrecht verkaufte. Die Zeitung kostete einen Penny. Charlotte kehrte dann zu Liberty’s zurück und versteckte die Zeitung in der Damentoilette unter ihrem Kleid. Dann ging sie wieder zum Wagen.
    Sie las die Zeitung nach dem Mittagessen in ihrem Zimmer. Sie erfuhr, daß der Zwischenfall im Buckingham Palast am Abend ihres Debüts nicht die erste Gelegenheit war, bei der die Frauen den König und die Königin auf ihre Wünsche aufmerksam gemacht hatten. Im letzten Dezember hatten sich drei Frauenrechtlerinnen in schönen Abendkleidern in einer Loge im Covent Garden verbarrikadiert. Es war während einer Galavorstellung der » Jeanne d’Arc« von Raymond Poze gewesen, der das Königspaar mit seinem Hofstaat beiwohnte. Am Ende des ersten Aktes war eine der Frauenrechtlerinnen aufgestanden und hatte dem König durch ein Megaphon ins Gewissen geredet. Man brauchte eine halbe Stunde, um die Tür aufzubrechen und die Frauen aus der Loge zu holen. Dann waren vierzig weitere Frauenrechtlerinnen in den ersten Reihen der obersten Galerie aufgestanden, hatten Flugblätter in den Saal geworfen und waren dann gemeinsam hinausgegangen.
    Vor und nach diesem Zwischenfall hatte sich der König geweigert, Mrs. Pankhurst eine Audienz zu gewähren. Die Frauenrechtlerinnen beriefen sich auf ein altes Recht, das allen Untertanen gestattete, dem König ihre Klagen vorzutragen, und verkündeten nun, daß eine Deputation, begleitet von einigen tausend Frauen, zum Palast marschieren werde.
    Und dieser Marsch sollte heute stattfinden – heute nachmittag.
    Charlotte wollte dabeisein.
    Sie sagte sich, es nütze nichts, sich einer Ungerechtigkeit bewußt zu sein, wenn man nichts dagegen unternimmt. Und Mrs. Pankhursts Rede klang ihr noch in den Ohren:
    »Der Geist, der heute den Frauen Kraft gibt, ist unbesiegbar …«
    Papa war mit Pritchard im Auto weggefahren.

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