Der Mann Aus St. Petersburg: Roman
Dank hatte ich das Nitroglyzerin.
Aber eigentlich sollten sie doch vor mir Angst haben. Ich bin doch der Jäger, derjenige der die Fallen stellt. Es ist wieder einmal dieser verdammte Waiden. Jetzt ist er mir zum zweitenmal in die Quere gekommen. Wer hätte geglaubt, daß ein Aristokrat mit grauem Haar so viel Mumm besitzt?
Er fragte sich, wo der Polizist jetzt wohl war. Er hob den Kopf und versuchte, etwas zu sehen.
Der Mann stand ihm direkt gegenüber.
Das Gesicht des Polizisten verriet totale Verblüffung, als Felix ihn beim Mantel packte und in sein kleines Versteck zerrte. Er stellte ihm ein Bein und schlug ihn zu Boden. Dann kniete er sich auf ihn und drückte ihm die Kehle zu.
Felix haßte Polizisten.
Er erinnerte sich an Bialystok, als die Streikbrecher -Schlägertypen mit Eisenstangen – die Arbeiter außerhalb der Mühle zusammenschlugen, während die Polizei tatenlos zuschaute. Er erinnerte sich an das Pogrom, als Horden von Strolchen über das Judenviertel hergefallen waren, Häuser in Brand gesetzt, Greise niedergeschlagen und junge Mädchen vergewaltigt hatten, während die Polizei lachend dabeistand. Er erinnerte sich an den Blutsonntag, als Truppen die friedliche Menge vor dem Winterpalast zusammenschossen, während die Polizei sich jubelnd die Hände rieb. Er erinnerte sich an die Polizisten, die ihn in die Peter-und-Pauls-Festung geschleppt hatten, wo er gefoltert wurde; an jene, die ihn nach Sibirien gebracht hatten, wo sie ihm seinen Mantel stahlen. Und an jene, die die Streikversammlung in St. Petersburg überfallen hatten und mit ihren knüppeln den Frauen auf die Köpfe droschen.
Ein Polizist ist ein Arbeiter, der seine Seele verkauft hat. Felix packte fester zu.
Dem Mann traten die Augen aus den Höhlen, er wehrte sich nicht mehr.
Felix drückte immer fester.
Er hörte ein Geräusch und blickte auf.
Ein kleines Kind von zwei oder drei Jahren stand da, kaute an einem Apfel und sah ihm dabei zu, wie er den Polizisten erwürgte.
Er ließ den Polizisten liegen.
Das Kind kam näher und blickte auf den bewußtlosen Mann.
Felix spähte aus seinem Versteck. Die Detektive waren nirgends mehr zu sehen.
Das Kind fragte: »Schläft er?«
Felix entfernte sich.
Er verließ den Markt, sah keinen seiner Verfolger mehr.
Er ging zurück auf den Strand.
Er begann sich sicherer zu fühlen.
Am Trafalgar Square stieg er in einen Omnibus.
Ich wäre fast gestorben, sagte Waiden sich immer wieder. Ich wäre fast gestorben.
Er saß in der Hotelsuite, während Thomson seine Leute um sich versammelte. Jemand gab ihm ein Glas mit Cognac und Soda, und erst in diesem Moment bemerkte er, daß seine Hände zitterten. Immer wieder mußte er an die Flasche mit Nitroglyzerin denken, die er in seinen Händen gehalten hatte.
Er versuchte, sich auf Thomson zu konzentrieren. Der Polizeioffizier war wie verwandelt, als er zu seinen Leuten sprach. Er hatte die Hände aus den Taschen genommen, saß auf der Kante seines Stuhls, und seine Stimme klang plötzlich scharf und klar.
Waiden beruhigte sich allmählich, als Thomson sprach.
»Dieser Mann ist uns durch die Finger geschlüpft«, sagte er.
»Das wird nicht ein zweites Mal geschehen. Wir wissen bereits einiges über ihn, und wir werden noch viel mehr herausfinden. Wir wissen, daß er 1895 oder schon vorher in St. Petersburg war, da Lady Waiden sich an ihn erinnert. Wir wissen, daß er in der Schweiz gewesen ist, weil der Koffer, in dem er die Bombe trug, aus der Schweiz stammt. Und wir wissen, wie er aussieht.«
Dieses Gesicht, dachte Waiden und ballte die Fäuste.
Thomson fuhr fort: »Watts, ich wünsche, daß Sie und Ihre Burschen ein bißchen Geld im East End ausgeben. Der Mann ist bestimmt Russe, wahrscheinlich ein Anarchist und Jude, aber verlaßt euch nicht darauf. Wir wollen mal sehen, ob wir seinen Namen feststellen können. Falls uns das gelingt, kabeln wir nach Zürich und St. Petersburg und holen uns weitere Informationen. Richards, Sie fangen mit dem Briefumschlag an. Es handelt sich wahrscheinlich um einen Einzelkauf, und vielleicht erinnert sich der Verkäufer daran. Woods, Sie befassen sich mit der Flasche. Es ist eine Winchesterflasche mit Glasstöpsel. Der Name des Fabrikanten ist unten eingraviert. Finden Sie heraus, an welche Geschäfte in London diese Flaschen geliefert werden. Kämmen Sie alle Apotheken und Drogerien durch und fragen Sie, ob sich jemand an einen Mann erinnert, der unserer Beschreibung entspricht. Er wird natürlich
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