Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte
stieg hinab in die Unterführung und rief von einer Telefonzelle aus den Bayern an. Ich ließ Szirba unerwähnt, behauptete jedoch, ich hätte Bötsch gesehen, wie er in einem Wagen an mir vorbeifuhr.
»Wo«, stieß Geislhöringer wie ein Süchtiger hervor. Das Fragezeichen verschluckte er. Zu spät. Er hatte zuzugeben, dass er und seine Leute nicht einmal eine Ahnung hatten, wo sich Bötsch befand. Ich sagte ihm das.
»Sie brauchen sich nicht zu sorgen, Herr Jooß, Bötsch hat keine Möglichkeiten. Er weiß, dass wir ihn kriegen, wenn er zur Polizei geht oder gar versucht, mit Frau Holdenried Kontakt aufzunehmen. Er kann allenfalls versuchen, die eigene Haut zu retten. Damit ist er vollauf beschäftigt.«
»Wer beschäftigt ihn? Amateure?«
»Ich muss gestehen, dass es einige Komplikationen gegeben hat. Mitarbeiter haben versagt. Woraus wir sicher unsere Lehren ziehen.«
»Habe ich richtig verstanden? Ihre Leute lernen gerade?«
»Ich verstehe Ihren Ärger, Jooß. Aber glauben Sie mir, wir haben die Situation dennoch unter Kontrolle. Es gibt keinen Grund, die Operation abzublasen.«
»Davon habe ich auch nicht gesprochen.«
»Natürlich nicht. Also, wo haben Sie Bötsch gesehen?«
»Charlottenplatz«, log ich. Eigentlich verrückt, was ich da tat. Anstatt Geislhöringer auf eine falsche Fährte zu schicken, hätte ich von Szirba erzählen müssen. Aber ich war nun mal nicht nur Pragmatiker, sondern hin und wieder auch ein sentimentaler Trottel. Ich wollte nicht, dass Geislhöringers Leute diesen Szirba in die Hand bekamen und ihm sämtliche Knochen brachen. Was hätte das genützt? Es war kaum anzunehmen, dass Bötsch sich noch immer dort aufhielt, wo der Österreicher ihm begegnet war. Wo immer das gewesen sein mochte.
Zum Abschluss gab Geislhöringer seine üblichen Versprechungen, erklärte, dass ich mich auf ihn verlassen könne. »Wir halten das Spielfeld sauber«, sagte er. »Und Sie verwandeln den Strafstoß.«
Ich legte auf, dachte nach. Dann stieg ich zum Bahnhof hinauf und setzte mich in ein Taxi. Bedrängt von Hitze und kaltem Rauch ließ ich mich hinauf zur Bopserwaldstraße chauffieren – also schon wieder ein Taxi. Dabei hasse ich diese Art der Fortbewegung. So wie ich es hasse, in Eile zu sein. Hast vorzutäuschen. Denn von wirklicher Eile konnte keine Rede sein. Trotz aller Komplikationen war meine Zeit ein voller Becher. So voll, dass ich auf die Idee verfallen war, mir Bötschs Haus anzuschauen. Eine Idee ohne Idee.
Doch als wir die Villa erreichten, wies ich den Fahrer an, vorbeizufahren. Mein Gott, jeder konnte sehen, dass das Haus beschattet wurde. Zwei Männer mit dunklen BMW-Gesichtern saßen in einer dunklen BMW-Limousine. Was hatten sie vor? Kinder erschrecken?
Keine Frage, es wäre besser gewesen, ins Hotel zurückzukehren. Schlafen, Bibeln verkaufen, trinken. Etwas in der Art. Stattdessen stieg ich einige Häuser weiter aus dem Wagen, spazierte hinauf zu der weißwandigen, großglasigen, aus den Siebzigerjahren stammenden Parasitologenvilla, ging vorbei an dem Wagen, der aus nichts anderem als bayerischer Schwärze zu bestehen schien, und läutete an der Gegensprechanlage. Eine Frauenstimme meldete sich. Ich stellte mich vor und erklärte, dass ich mit Herrn Bötsch einen Termin hätte. Es gehe um eine afrikanische Bibel.
»Mein Mann ist nicht da.«
»Darf ich trotzdem hereinkommen?«
Zu meiner Überraschung sprang das Tor auf. War das die gute alte Wirkung des Wortes »Bibel« gewesen?
Im Rahmen der Eingangstür empfing mich eine Frau, die nicht wie sechzig aussah, auch wenn sie es wahrscheinlich war. Sie war der Typ, der den Großteil des Jahres in Stiefeln herumrannte. Wobei sie wahrscheinlich nie rannte, sondern bloß schnell ging, aber niemals hetzte. Einer von diesen rustikalen Menschen, die man kaum keuchen, schreien oder weinen hörte und die sich durchsetzten, so wie sich das Wetter durchsetzt.
Sie bat mich nicht herein, sondern verwies erneut darauf, dass ihr Mann nicht zugegen sei.
»Ich weiß«, sagte ich und fabrizierte einen Blick, der bedeuten sollte, dass ich nicht wegen der Bibel gekommen war.
»Gehören Sie zu diesen Affen da draußen?«
»Sehe ich wie ein Affe aus?«
»Die meisten Männer.«
Das war eine unklare Antwort. Aber so genau wollte ich es ja gar nicht wissen. Ich wollte ins Haus. Unternahm dem entsprechende Anstalten. Dabei geriet ich sehr nahe an die Frau heran, konnte sie riechen. Was mich ausnahmsweise nicht störte. Aber sie schien
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