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Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte

Titel: Der Mann, der den Flug der Kugel kreuzte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Und kehren gewissermaßen wieder zurück – nicht an den gleichen Ort, aber in dasselbe Land. Die Schafsleber ist die heimatliche Scholle. Und natürlich der geeignete Platz, um nun in ein paar Wochen doch noch erwachsen zu werden, was ja nicht unbedingt bedeutet: lustiger oder gescheiter oder beweglicher. Was die Kerlchen jedoch sicher werden, das ist geschlechtsreif. Und darauf kommt es schließlich an.
    Die Eigenarten des Parasiten, seine Verwandlungen, sein Hang zu notwendigen Penetrationen, sein abenteuerliches Verhältnis zu den jeweiligen Wirten, vor allem aber sein suggestives Geschick hatten Bötsch beeindruckt und nicht wieder losgelassen. Er widmete sich dem Kleinen Leberegel mit ameisenhafter Verbissenheit, ließ andere Arbeiten liegen, vernachlässigte Studenten, riskierte seinen guten Ruf und stand wegen Abwesenheit, geistiger wie körperlicher, vor dem Hinauswurf aus der Universität, als ihm der große Wurf gelang, nach dem er sich Abwesenheit und andere Extravaganzen erlauben konnte. Er war im Sommer zuvor auf Urlaub gewesen und hatte Pilze gesucht, genauer: die Würmer in den Pilzen. Und war dabei in einer für den Leberegel untypischen Waldgegend auf Ameisen gestoßen, die sich in der bekannten Art festgebissen hatten, aber nicht an den Spitzen von Blättern oder Halmen, sondern am Fleischkörper von Beeren – Brombeeren, eine Delikatesse, aber eben nicht für Schafe, eher für Menschen. Bötsch unterbrach seinen Urlaub, um die Ameisen am Institut zu untersuchen. Tatsächlich stieß er auf Metacercarien und im Unterschlundganglion auf jeweils einen Hirnwurm, bloß dass selbiger nicht aussah, wie er hätte aussehen müssen. Selbst einem Laien wäre es aufgefallen. Dieser Hirnwurm war breiter, besaß merkwürdige, narbenartige Flecken und einen betörend schönen, irisierenden, antennenartigen Aufsatz. Und zudem war er in der »falschen« Gegend aufgetreten. Man könnte nun sagen: Mein Gott, ein Hirnwurm mehr, na und? Doch ergab sich die Frage: Warum zwingt dieser Wurm seine Wirtsameise, in eine Brombeere zu beißen? Zu welcher Leber drängt es ihn eigentlich? Was hat er in Bayern verloren, wo Bötsch auf ihn gestoßen war? Oder in der Steiermark, wo ebenfalls Ameisen sich in der bekannten Weise in Brombeeren verbissen hatten? Und wozu sollte dieses Ding dienen, das sich mal in der Körpermitte, dann wieder an einem der Wurmenden befand und das die Forscher dann tatsächlich »Antenne« nannten und von der es hieß, dass sie sowohl als Sender wie auch als Empfänger fungiere. Was wurde empfangen? Viel unheimlicher war die Frage, was wurde gesendet?
    Einige deutsche Zeitungen hatten von der merkwürdigen Entdeckung berichtet, spektakulär genug, sodass der Verkauf von Brombeermarmelade empfindlich zurückgegangen war. Aber das war es auch schon. Zumindest, was die Öffentlichkeit betraf. Bötsch forschte weiter, unternahm Testserien, die den Geruch des Geheimen besaßen, von etwas, das nach »deutschen Interessen« roch. Aber das war wohl übertrieben. Bötsch ließ sich bloß nicht in die Karten schauen. Und wollte wohl auch die Art seiner Versuche nicht diskutiert wissen. Dass man ihn jetzt schon für eine hohe Auszeichnung erwählt hatte, war wohl mehr auf irgendeine freundschaftliche Verbundenheit zurückzuführen. Oder als Aufmunterung gedacht, aus diesem Wurm gewissermaßen das Bestmögliche herauszuholen, bevor es irgendwelche Ausländer taten.
    »Erstaunlich«, sagte ich ein wenig hilflos. Viel hatte ich nicht verstanden.
    Frau Bötsch konnte sich kaum vorstellen, dass der Kleine Leberegel schuld daran sein sollte, dass ihr Mann untergetaucht war. Wer schuld war, wollte sie von mir wissen.
    »Ein Zufall, ein Unglück und eine Unart«, sagte ich. »Ihr Mann hat gelauscht. An einer Tür. Der falschen Tür. Man sagt ja schon den Kindern, sie sollen so was nicht tun. Aber keiner hält sich daran, auch die Erwachsenen nicht. Leider. Der Professor hat von etwas erfahren, das eine gewisse Brisanz besitzt. Mit ihm selbst hat es nichts zu tun. Aber er darf es nun einmal nicht wissen.«
    »Das klingt ja schauerlich.«
    »Sie scheinen sich nicht gerade um ihn zu sorgen.«
    »Sind Sie verheiratet?«
    »Nein.«
    »Dann reden Sie nicht dumm. Eine gute Ehe ist nicht wie ein ewiger Brautstand, sondern wie ein ewiger Abstand. Erklären Sie mir lieber, worum es genau geht und was Sie damit zu tun haben.«
    »Es handelt sich um eine Bereinigung. Ich kann nicht ins Detail gehen, auch zu Ihrer eigenen

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