Der Mann, der den Regen träumt
wusste, was sie sonst tun sollte, tastete sie nach Finns Kleidern und zog sein leeres Hemd, die durchnässte Jeans, seine Unterwäsche und die Schuhe, die sie ihm zu seinem improvisierten Geburtstag geschenkt hatte, rings um sich zu einem Bündel zusammen.
So blieb sie liegen, bis die Wolke sich schließlich von den Dächern abstieß und immer schneller in die Höhe stieg. Als sie sich hob, schien die Sonne darunter hindurch, und Elsa wurde erst jetzt bewusst, dass sie noch gar nicht untergegangen war. Einen Augenblick lang verwandelte das Licht die Regenfäden in die schimmernden Saiten einer Harfe, bevor die stetig weiterwachsende Wolke es wieder verschluckte.
Sie stieg höher und höher und plötzlich war sie wie von innen heraus erleuchtet und stieß ein brüllendes Donnern aus, so menschlich, dass Elsa sich aufsetzte und Finns Namen schrie. Er antwortete nicht, doch der Regen prasselte nun mit doppelter Kraft nieder und landete zischend auf den Pflastersteinen.
Ein zweiter Blitz erfüllte die Straße mit grellem Licht und ließ einen Moment lang jede nasse Oberfläche weiß erstrahlen. Elsa ertappte sich dabei, wie sie zum Gott ihrer Mutter betete, oder zumindest zu dem wenigen, woran sie davon noch glaubte, und ihn anflehte, all das wieder rückgängig zu machen, doch der Regen wurde immer stärker, bis eine erste Salve Hagelkörner von den Fassaden der Häuser abprallte und hart auf Elsas bloße Haut traf. Sie ließ den Schmerz zu, verspürte keinerlei Drang, sich in Sicherheit zu bringen. Wenn es sie irgendwo hinzog, dann aufwärts, um Finn in die Luft zu folgen.
Die Straße war verlassen. Elsa stellte sich vor, wie sich die Leute in ihren Häusern verkrochen, außer sich vor Angst vor dem, was sie entfesselt hatten. Sie hasste sie alle und hoffte, dass Finns Gewitter ihre Türen zerschmetterte und ihre Leben in Trümmern zurückließ.
Die Wolke wuchs weiter und wurde zu einem trägen schwarzen Strudel, der sich um die eigene Achse wand. Sie schwoll an wie eine aufgeblähte Lunge. In ihrem Inneren leuchtete die grellweiße, gezackte Arterie eines Blitzes auf und Elsa spürte die Elektrizität, die sich wie zur Antwort darauf am Boden sammelte, von den magnetischen Kräften des Gewitters aus den tieferen Regionen der Erde gelockt.
Elsas Augen weiteten sich. Sie stand auf und schlug die Hände vor den Mund. Eine Idee nahm in ihrem Kopf Gestalt an, so gefährlich, dass sie möglicherweise sogar funktionieren konnte.
Sie fing an zu rennen, die Candle Street hinunter, gepeitscht von Regen und Hagel, während der Blitz am schwarz gewordenen Himmel seine Reichweite testete.
Als sie in die Auger Lane einbog, zuckte ein gegabelter Blitz in Richtung Erde und ließ einen Schornstein bersten. Elsa kam im letzten Moment schlitternd zum Stehen, gerade noch rechtzeitig, um nicht unter einer Lawine von zerbrochenen Ziegelsteinen begraben zu werden. Sie sprang über den Haufen hinweg und stürmte weiter, bis sie den Sankt-Erasmus-Platz erreichte. Dort hing die Gewitterwolke wie eine furchterregende Arche über der Stadt. Ringsum floh nun auch das letzte Abendlicht und schließlich gab es nur noch den Kumulonimbus.
Der gesamte Platz schien vor niederprasselnden Regentropfen zu brodeln. Die Gullys gurgelten vor Anstrengung, das immer höher ansteigende Wasser zu schlucken. Hinter dem Vorhang aus Regen stand die Kirche wie ein bezwungener Riese, ihre schwarze Erhabenheit dem Joch der Gewitterwolke unterworfen. Mit einem ohrenbetäubenden Krachen fuhr der Blitz in den Glockenturm. Der Einschlag ließ jede einzelne Fensterscheibe rings um den Platz klirrend widerhallen. Dann wurde es plötzlich still und Elsa spürte nur noch ein unheilvolles Prickeln unter den Füßen. Sie schluckte. Dort musste sie hin, ganz nach oben, wo die Glocke ein blechernes Summen von sich gab.
Sie rannte über den Platz und die Stufen vor dem Kirchenportal hinauf, wuchtete die Tür auf, schlüpfte durch den Spalt und schob sie hinter sich wieder zu.
In der Kirche war es, als befände sie sich im Inneren einer Trommel. Die Geräusche des Unwetters hallten so dröhnend zwischen den Säulen wider, dass Elsa ein Knacken in den Ohren spürte. Die verängstigten Tauben im Dachgebälk flatterten panisch umher, stießen in der Luft zusammen oder prallten gegen die Steinmauern. Eine lag tot auf dem Boden unterhalb der Kanzel. Elsa, die Hände auf die Ohren gepresst, hinterließ eine nasse Fußspur, als sie sich auf den Weg zu der Tür machte, die
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