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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
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sich an den Kopf und einen Moment später schoss eine Wolke, so schwarz wie Ruß, hervor und vermischte sich mit dem grauen Nebel, der die Straße erfüllte. Elsa schrie auf und kniete sich neben ihn, doch die Wolke, die sie einhüllte, war so dicht, dass sie nicht einmal ihre ausgestreckten Hände sehen konnte. Menschen kreischten, irgendjemand packte sie unter den Achseln und sie schlug kreischend um sich, als sie über das raue Pflaster geschleift wurde. Sie versetzte demjenigen einen harten Fußtritt, doch es half nichts. Sie sah nichts in all dem Nebel, außer ein paar dunklen Gestalten, die sich um Finn scharten.
    Dann blitzte er.
    Für den Bruchteil einer Sekunde zuckten winzige Linien aus weißem Feuer durch Finns Körper. Es war, als hätte sich sein gesamtes Nervensystem in Licht verwandelt. Elsa hörte Sidney aufschreien und roch verbranntes Fleisch. Dann fuhr das Licht in den Boden und von den Pflastersteinen stieg der Geruch von Kohle auf. Die Stadtbewohner brachen in panisches Geschrei aus. Elsa wurde unsanft auf den Boden fallen gelassen und hörte, wie die Leute in alle Richtungen flohen, und irgendjemand wimmerte wie ein Baby, während sie ihn mit sich schleiften.
    Als sie aufstand, traute sie sich nicht, ihre Wirbelsäule zu strecken. Genauso wenig, wie sie den Mund schließen konnte, denn ihre Lippen schienen wie zu einer Grimasse versteinert.
    Die Arme vor sich ausgestreckt, taumelte sie durch den Nebel und wäre beinahe über Finn gestolpert, als sie ihn schließlich auf dem Boden fand. Er lag auf dem Rücken, Arme und Beine von sich gestreckt. Seine Augen waren geöffnet und starr.
    »Finn!« Sie griff nach seiner Hand und umklammerte sie mit ihren beiden. Seine Finger fühlten sich dünner und zerbrechlicher an, als sie sie in Erinnerung hatte.
    »Was haben sie dir angetan, Finn?«
    Die Wolke wuchs noch immer und war inzwischen so dicht, dass, obwohl ihre Gesichter einander berührten, noch immer ein grauer Schleier zwischen ihnen lag. Sie hielt seine Hand fest, doch sie fühlte sich leicht an, wie einer seiner Papiervögel. In diesem Nebel war es unmöglich zu beurteilen, wie schwer sie Finn verletzt hatten, und so konnte Elsa nichts anderes tun, als ihre Arme um seinen Rumpf zu schlingen und sich an ihn zu schmiegen.
    »Halt durch«, flüsterte sie, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte. »Bitte, halt durch.«
    Doch der Wolkenstrom aus seinen Wunden versiegte nicht, er nahm ihnen die Sicht wie eine Augenbinde. Elsa klammerte sich an Finn, der sich nun schwach und zerbrechlich anfühlte. Seine Brust schien zu schrumpfen und sich zu verhärten. Sie drückte die Lippen auf seine, in der Hoffnung, dass ein Kuss ihn retten könnte, doch sein Kopf fühlte sich in der Finsternis knöchern an und seine Lippen waren schlaff und gummiartig wie die Haut eines geplatzten Luftballons. Sie küsste ihn trotzdem. Irgendwo über sich meinte sie ein Kläffen zu hören und eine Art Jaulen zerriss die Luft. Finns durchnässtes Hemd klebte an seinen hervorstechenden Rippen. Als sie blind nach seinen Fingern tastete, waren sie dünn und so kalt wie Eiszapfen. Dann, für einen kurzen Moment, glaubte Elsa, die Wärme wäre in sie zurückgekehrt, und stieß einen erstickten Freudenschrei aus, doch sie hatte bloß ihre eigenen Finger gespürt, denn Finns hatten sich aufgelöst. Hektisch tastete sie auf dem Boden herum, um sie wiederzufinden, aber sie waren verschwunden und ihre Fingernägel scharrten über das Straßenpflaster. Sein Brustkorb sackte in sich zusammen, bis er vollkommen flach war. Panik erfüllte Elsa. Sie suchte seine Lippen, doch dort, wo sie hätten sein müssen, war nichts als nasser Stein, und sie lag mit dem Gesicht nach unten in einem Nebel, der so dicht war, wie sie es niemals für möglich gehalten hatte, mit nichts als Finns leeren, durchnässten Kleidern zwischen sich und den verwitterten Pflastersteinen.
    * * *
    Elsa lag auf dem Boden und ihr Körper krümmte sich unter heftigen Schluchzern. Die Wolke waberte noch eine Weile um sie herum, schließlich aber, nach und nach, lüftete sich der Schleier. Regen prasselte auf ihren Rücken, aber sie rührte sich nicht. Er ließ die Straße vibrieren und hallte von den Mauern wider. Irgendwann fand sie die Kraft, sich auf den Rücken zu rollen, sodass ihr der Regen ins Gesicht klatschte, und sie spürte, wie ihre Kleider sich vollsogen.
    Die Wolke stieg weiter und hing nun wie eine dunkelgraue Decke über der Straße. Da Elsa nicht

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