Der Mann, der den Regen träumt
mich in Ruhe, okay? Tu einfach so, als wären wir uns nie begegnet. Mach einfach weiter mit dem … Keine Ahnung … Was du eben vorher hier oben gemacht hast.«
Elsa stand da, wie erstarrt im Sonnenlicht, und blickte ihm nach, als er bergab in Richtung einer Senke voller Erdspalten und knubbeliger Felsbrocken lief. Schon zum dritten Mal in letzter Zeit hatte das Leben sie dermaßen überrascht, dass sie das Gefühl hatte, die Welt sei stehen geblieben. Erst die Nachricht vom Tod ihres Vaters, dann Peters unerwarteter Heiratsantrag und jetzt – vielleicht am seltsamsten von allem – jene unglaubliche Minute, in der sie beobachtet hatte, wie sich ein Mann in eine Wolke verwandelte.
Als er das untere Ende der Wiese erreichte, kurz bevor sich der Pfad außer Sicht schlängelte, blieb der kahlköpfige Mann noch einmal stehen und blickte über die Schulter zu ihr zurück. Dann verschwand er hinter einer Ansammlung von Geröll.
Sobald er nicht mehr zu sehen war, verspürte Elsa den Drang loszurennen, auch wenn sie nicht ganz sicher war, ob es sie in die Sicherheit von Kenneths Haus zog oder sie dem Mann folgen sollte, um Antworten zu fordern. Für eine Minute, die sich ewig auszudehnen schien, stand sie einfach bloß da, wie von zwei gegensätzlichen Kräften an ein und demselben Fleck gehalten. Doch sie wollte sich nicht für den Rest ihres Lebens den Kopf über ihn zerbrechen müssen. Also setzte sie zur Verfolgung an und der weiche Boden unter ihren Füßen verlieh jedem ihrer Schritte zusätzlichen Schwung.
Jenseits des Geröllhaufens fiel der Pfad in eine kleine Schlucht ab, in der jede Menge quadratische und dreieckige Schieferbrocken verstreut lagen, doch von dem Mann fehlte jede Spur. Nach einer Weile erspähte Elsa einen nassen Fleck auf einem der Felsen, dann einen weiteren, und da der Himmel völlig klar war, beschloss sie, dass die Feuchtigkeit von seinen durchnässten Kleidern stammen musste. Sie folgte den Flecken, bis die Spur ausgetrocknet war, und lief dann einfach weiter, bis sie eine sanft ansteigende, hin und wieder von einsamen Bäumen oder Steinbrocken durchsetzte Ebene erreichte. Dort blieb sie stehen, stemmte die Hände in die Hüften und suchte die Gegend nach einem Zeichen von ihm ab.
Bald sah sie ein kleines Häuschen, das, gut getarnt im Schatten eines zerklüfteten Felsvorsprungs, aus unregelmäßig aufeinandergestapelten Steinblöcken und Schieferplatten errichtet worden war. Es war eine winzige, eingeschossige Kate mit nur einer Tür und einem Fenster, ähnlich den Schutzhütten in der Wildnis der Ouachita Mountains, die Wanderern und Waldarbeitern Zuflucht vor dem Wetter gewährten.
Elsa näherte sich dem Häuschen langsam, denn sie war sich sicher, dass der Mann darin war. Die Fugen der Mauern waren mit warzig grauen Flechten verstopft, bis auf eine Stelle, wo eine Moosart wucherte, deren leuchtendes Orangegelb an das Innere einer Mango erinnerte. Den gedrungenen Schornstein krönte die aufwendigste Wetterfahne, die sie seit ihrer Ankunft in Thunderstown zu Gesicht bekommen hatte: Es war ein Fuchs oder ein Wolf, die Pfoten von sich gestreckt, als befände er sich mitten im Sprung, die Schnauze erhoben, um dem Geruch des Windes zu folgen. Über dem Tier verzweigte sich das Eisen in jugendstilartigen Schnörkeln zu einer Wolke.
Sie klopfte, und als niemand antwortete, drückte sie die Klinke hinunter, doch die Tür war verschlossen. Sie schlug mit der flachen Hand an das Holz. »Hey!«, rief sie. »Können wir noch mal reden?«
Keine Antwort, also ging sie zum Fenster und lugte ins Innere der Hütte.
Es war offensichtlich, dass jemand dort lebte, obwohl im Moment niemand zu Hause zu sein schien. Sie entdeckte einen Tisch, auf dem ein Teller stand, mit dem Kerngehäuse einer Birne darauf, braun, aber noch nicht verrottet. Es gab zwei Stühle und, besonders ungewöhnlich – in Anbetracht dessen, dass sie die Kate zunächst für eine Schutzhütte gehalten hatte und nicht für eine richtige Behausung –, an der Decke hingen Mobiles. Elsa verrenkte sich beinahe den Nacken, um sie besser sehen zu können. Die Decke hing voll davon. Baumelnde Drahtgebilde mit weißen Papiervögeln.
»Hey!«, rief sie noch einmal und tippte an die Scheibe. Einen Moment lang erwog sie, das Fenster einzuschlagen, doch als sie sich umdrehte, um nach einem geeigneten Stein zu suchen, wurde sie von einer kalten Windbö erfasst und meinte, ein Bellen zu hören. Sie blickte den Berg hinauf und sah, wie dort in
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