Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw

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sein Versprechen gehalten hatte.
    »Aha«, sagte er zu sich selbst. »Jetzt hast du dich verraten.«
    Falls, hatte er gedacht. Falls sie zurückkam.
    Als sie Thunderstown verlassen hatte, war er sich so sicher gewesen, dass sie zurückkommen würde. Manche Dinge waren einfach Schicksal, und das galt auch für die Liebe zwischen Betty und ihm. Sie waren füreinander bestimmt. Das verriet ihm ein Gefühl in seinen Knochen – genauso wie die Gedärme von Ziegen seinem Großvater früher die Zukunft verraten hatten (zum Preis von einem Schilling).
    Diese Gewissheit verspürte er schon lange nicht mehr. Heute war sein Herz wie ein defekter Kompass, dessen Nadel unermüdlich nach einem Fixpunkt suchte, den es nicht mehr gab. Heute schien es genauso schwer, seinen Glauben an Betty und ihre Liebe aufrechtzuerhalten, wie auf dem Merrow Wold eine Ziege zu schießen. Heute gab es nur noch die Berge, das Wetter und den Gestank nach Fell und altem Kot.
    Er verließ den Hauptweg und schlug an einer Gabelung einen überwucherten Pfad ein, der in einem Bogen um Thunderstown herum bis hinunter zu einer Straße ganz im Süden führte, an der seit mehr als zwei Jahrhunderten das Gehöft der Fossiters lag. Nicht zum ersten Mal gab Daniel sich seinen Schuldgefühlen hin. Wenn er es auch nicht über sich brachte, über die Gründe für Bettys lange Abwesenheit nachzudenken, so konnte er sich doch ausgiebig damit quälen, was er in diesen acht Jahren getan und nicht getan hatte.
    Er hatte getan, worum Betty ihn gebeten hatte, und sich um Finn gekümmert, doch er hatte es nicht gern getan. Er mochte ein in Liebe entbrannter Dummkopf sein, der Betty nichts hatte abschlagen können, aber das bedeutete noch lange nicht, dass er Finn verzeihen konnte, was er war. Im besten Fall konnte man Finn als eine Laune der Natur bezeichnen. Im schlimmsten Fall als Kreatur des Teufels, genau wie die gierigen Ziegen.
    Jeder männliche Fossiter in der Vergangenheit war, wie er, Bergjäger gewesen. Nur sein Vater hatte mit dieser Tradition gebrochen. Während die vorigen Generationen Trinker, Fleischesser und Frauenhelden hervorgebracht hatten, war Daniels Vater Vegetarier und Antialkoholiker gewesen – und boshaft wie eine Hornisse.
    Daniels gesamte Kindheit über sprachen sein Vater und sein Großvater kein Wort miteinander und nicht einmal als Daniels Vater krank wurde und wenig später starb, hatten sie sich miteinander versöhnt. Daniel war zu diesem Zeitpunkt vierzehn Jahre alt und lebte fortan bei seinem Großvater, der den Jungen nun ernsthaft in alter Fossiter-Tradition aufzog. Er brachte Daniel das Schießen bei, wie man sich gegen die Windrichtung an eine Ziege anschlich oder mit einer gekrümmten Klinge das weiche Fett von der Innenseite der Tierhaut schabte. Er brachte ihm bei, wie man das Fleisch zerteilte und das Blut abfließen ließ, ohne dabei das Fell zu besudeln, und, nachdem Daniel fünfzehn geworden war, das Trinken. Er gab Daniel zum ersten Mal in seinem Leben Fleisch zu essen und es schmeckte genauso verführerisch und belebend wie moralisch verwerflich.
    Er führte Daniel in die Eigentümlichkeiten der Berge ein, lehrte ihn Strategien und Zauber, mit deren Hilfe man ihre Launen beschwichtigen konnte, und erklärte ihm, wie eine schlaue Ziege sich die Gegebenheiten der Landschaft zunutze machen konnte, um einem Jäger zu entwischen. Er brachte ihm bei, wie man Fallen aufstellte und die eisernen Bügel spannte, die einen Beinknochen sauber durchtrennen konnten. Er schärfte ihm ein, immer etwas Ziegendung in der Tasche zu haben, um sich das Vertrauen der dummen Tiere zu erschleichen, wenn er durch die Berge streifte.
    Er erzählte ihm auch von der wandernden Ziege, die sich nur zeigte, wenn der Nebel tief über den Bergen hing. Der einzigen Ziege, die er nicht töten durfte.
    Niemand hatte je zwei wandernde Ziegen auf einmal gesehen. Allein der Logik nach hätte es mehr als nur eine geben müssen – schließlich wurden sie seit Jahrhunderten immer wieder gesichtet. Oder vielleicht handelte es sich bei diesen Tieren auch bloß um genetische Anomalien, wie in den seltenen Fällen, wenn ein ganz normales Paar von Hirschen ein weißes Kalb zur Welt brachte. Oder … vielleicht handelte es sich auch, wie Daniels Großvater unbeirrbar behauptete, um ein ganz besonderes Tier, ein uraltes Wesen, das noch immer am Leben war und dem selbst die Bergjäger nichts anhaben konnten.
    Es war doppelt so groß wie eine normale Ziege, eher von der