Der Mann, der den Regen träumt
neblig: Er konnte kaum einen Steinwurf weit durch die Wolke sehen, die ihn umschloss.
An diesem Tag sah Daniel zum ersten Mal die wandernde Ziege, die mit den silbernen Augen und Hörnern wie aus Feuerstein. Die sich mit einer Sanftmut bewegte, wie andere Ziegen sie nicht besaßen. Deren Blöken wie das Weinen eines Säuglings klang. Diese Ziege trat nun aus den Wolken. Ein leichter Luftzug fuhr durch ihren bläulich schimmernden Pelz. Ihre Augen funkelten, ihr Fell glänzte und Daniel spürte eine seltsame Verbundenheit zu dem Tier. Es stieß einen Schrei aus und der Laut drang tief in Daniels Brust und schnürte ihm das Herz zusammen, in einer Weise, die er nicht verstand, und der Nebel wurde zu einem silbernen Kosmos, in dem nur sie beide existierten. Eine Weile kaute er, ohne etwas im Mund zu haben, vor sich hin, und auch die Ziege kaute und ihre Hörner schillerten in Rosa- und Bernsteintönen. Daniel stieß einen tiefen, erstickten Seufzer aus, dann hob er sein Gewehr und schoss der Ziege eine Kugel zwischen die Augen.
Der Nebel lichtete sich innerhalb von Minuten.
Er trug die tote Ziege zum Gehöft. Das Gewicht des Tieres lastete mit Nachdruck auf seinen Schulterblättern und die Spitze eines der Hörner kitzelte seine Halsschlagader. Immer weiter bergab stapfte er, und als er unten ankam, warf er das Tier auf den Tisch in seiner Werkstatt, zog ihm die Haut ab, gerbte das Fell und schnitt es mit größter Sorgfalt in Form, um das Ergebnis einige Wochen später Betty zum Geburtstag zu schenken; ein Umhang aus silberblauer Wolle, den sie ihm behutsam aus den Händen nahm, ihn lächelnd betrachtete und sich dann um die Schultern legte. In das blaue Ziegenfell gehüllt schmiegte sie sich an ihn und legte seine Hände um ihre Taille, bevor sie seine kräftigen Finger unter den weichen Stoff ihres Rocks und über ihre noch weicheren Schenkel dirigierte. Sie führte ihn in ihr Haus in der Candle Street, wo sie ihm die Kleider auszog, und dann, weil seine Finger dazu nicht in der Lage waren, sich selbst. Nacheinander landeten der Ziegenumhang, ihr Rock und ihre Unterwäsche auf dem Bett. Dann sanken sie auf den Stapel aus Kleidern und Fell und er verlor sich in dem Gefühl ihrer Haut unter seiner eigenen.
* * *
Bei der Erinnerung daran schüttelte Daniel den Kopf wie ein benommener Boxer, blinzelte sich die Feuchtigkeit aus den Augen und räusperte sich. Er war am Tor des Fossiter-Grundstücks angelangt, betrat den Hof und ging direkt weiter in die Werkstatt, über der Schulter noch immer die Ziege, die er an diesem Morgen getötet hatte. Drinnen griff er das Tier bei den Hörnern und zog seinen Kopf auf den Hackblock. Dann holte er seine alte Axt von ihrem Haken an der Wand und ließ die Klinge mit einem einzigen Hieb durch den zottigen Ziegenhals schnellen, der die Wirbelsäule sauber durchtrennte. Der Kopf des Tieres, dessen Augen gleichgültig zu ihm aufstarrten, blieb auf dem Block liegen, während Daniel den schlaffen Körper hochhievte und ihn an ein paar Seilen befestigte, die von der Werkstattdecke herabbaumelten, sodass das Blut aus dem Hals in eine fleckige Auffangwanne rinnen konnte.
Kein Tag verging, ohne dass er an die Nacht mit Betty zurückdachte. Sie hatten sich stürmisch geliebt, voller Hingabe, doch es waren die Augenblicke danach, die ihn so tief berührt hatten. Er lag auf dem Rücken, während sie an ihn geschmiegt langsam eindöste, und zum ersten Mal in seinem Leben hatte Daniel das Gefühl, dass alles an seinen Platz gerückt war. Sie hatte ihm die perfekte Geometrie verliehen.
Am nächsten Morgen war sie in Tränen aufgelöst gewesen. »Es tut mir so, so leid, Daniel. Ich habe einen Fehler gemacht. Es liegt nicht an dir, sondern an mir. Ich kann das nicht erklären. Sex erinnert mich einfach immer daran, dass ich kein Baby bekommen kann. Da, jetzt ist es raus. Du solltest deine Zeit nicht mit mir verschwenden, du solltest dir eine bessere Frau suchen, eine, bei der alles funktioniert.« Er hatte sie in die Arme genommen und ihr versichert, dass es keine Rolle spielte, hatte den Geruch ihres Haars eingeatmet, während sie an seinem Hals weinte. Er hatte es ernst gemeint. Er glaubte bis heute nicht, dass es der Sex gewesen war, der ihn so mit Frieden erfüllt hatte, als sie zusammen dagelegen hatten. Sex war nur körperlich. Friede dagegen war eine Sache des Geistes. Sie hatten nicht noch einmal miteinander geschlafen.
Seit dieser Nacht hatte er nie wieder einen solchen Frieden
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