Der Mann, der den Regen träumt
verspürt. Kurz darauf hatte sich Finn angekündigt.
Als Betty ihm von ihrer Schwangerschaft erzählte, sagte sie: »Ich schwöre bei Gott, Daniel, ich schwöre beim Blut meiner Mutter, beim Grab meines Vaters: Ich bin während des Gewitters neulich auf das Devil’s Diadem gestiegen, aber das ist alles.«
Daniel schlug die Hände vors Gesicht. Allein der Gedanke – er war derjenige gewesen, der ihr diese Idee in den Kopf gesetzt hatte! Er hatte ihr, ohne auch nur auf die Idee zu kommen, dass sie seine Worte in die Tat umsetzen würde, von einem Aberglauben seines Großvaters erzählt. Der alte Mann war überzeugt gewesen, dass eine unfruchtbare Frau, die während eines Gewitters auf einen Berggipfel stieg, dort um ein Kind flehte und anschließend so viel Regenwasser trank, bis ihr schlecht wurde, in einem von hundert Fällen ein Kind bekommen würde. Sein Großvater hatte an viele solche Dinge geglaubt.
Daniel wusste nicht, was er schlimmer fand. Die Vorstellung, dass sie sich einem solch infernalischen Spiel des Wetters ausgesetzt hatte, oder dass er es gewesen war, der sie auf den Gedanken gebracht hatte. »Betty«, flüsterte er, »bist du ganz sicher, dass das Kind nicht von uns ist?«
»Absolut. Tut mir leid, Daniel. Ich würde mich wirklich freuen, wenn es so wäre, aber das ist unmöglich. Was mir widerfahren ist, ist ein Wunder.«
Gegen Ende ihrer Schwangerschaft ertappte er sich dabei, wie er bisweilen regelrecht zwanghaft auf ihren Bauch starrte, während sich in seinem eigenen eine lähmende Panik ausbreitete. Er war schon immer zwischen zwei Ängsten gefangen gewesen: der Angst seines Vaters vor dem Urteil Gottes und der Angst seines Großvaters vor bösen Geistern, die aus heiterem Himmel einen Sturm heraufbeschwören konnten. Jeder der beiden Männer hatte die Furcht des anderen als dummen Aberglauben abgetan, und Daniel hatte sich nicht anders zu helfen gewusst, als dem Glauben, egal woran, völlig den Rücken zu kehren, auch wenn dies für ihn die furchterregendste aller Möglichkeiten war. In der Kirche hörte er auf zu beten und zwang sich, an Ziegen, Berge und getarnte Fallen zu denken. Das tat er, weil er sich davor fürchtete, in seinen Gebeten die Stimme Gottes zu hören. Würde der Herr ihm befehlen, etwas gegen dieses Baby in Bettys Bauch zu tun, dann, das wusste er ganz sicher, wäre er zu schwach, um zu gehorchen. Deshalb war es besser, den Befehl gar nicht erst zu hören. In diesen Tagen fühlte er sich Gott fern, durch irgendetwas von ihm getrennt, so als läge er unter einer Schicht von Geröll begraben, und manchmal schreckte er des Nachts mit klopfendem Herzen aus einem Traum hoch, in dem er einen kleinen Jungen an der Hand gehalten hatte.
Schließlich kam der Tag, an dem es zu spät war. Sie rief an.
»Bitte, Daniel, keine Hebamme«, keuchte sie ins Telefon. »Nur du. Nein, hör mir zu, bitte. Nur du.«
»Betty … du brauchst … Ich weiß nicht …«
»Bitte! «
Daniel machte sich sofort auf den Weg, er rannte los und ließ die Tierhaut, die er gerade gegerbt hatte, verderben.
Als er bei ihr eintraf, saß sie auf ihrem Bett. Sofort klammerte sie sich an seinen Unterarm und drückte so hart zu, dass es Daniel nicht gewundert hätte, wenn die Knochen darin geborsten wären. Sie war schweißüberströmt und zitterte. Daniel wickelte sie in Decken und legte ihr zum Schluss den Umhang über, den er für sie angefertigt hatte, aber es half nichts. Sie war eiskalt, trotz des völlig überhitzten Zimmers, und knirschte mit den Zähnen, um sie vom Klappern abzuhalten. Er bemerkte, dass sich auf dem Laken eine dünne Eisschicht gebildet hatte und den Stoff mit einem sechseckigen Schneeflockenmuster überzog. Er konnte dabei zusehen (Betty drückte seinen Arm noch fester), wie die kristallene Substanz weiter über das Bett kroch. Eiszapfen wuchsen von der Bettkante und streckten sich dem Boden entgegen. Ein Hauch von Frost bedeckte die Innenseiten ihrer Oberschenkel.
Plötzlich drang ein Klopfen vom Fenster herüber, dann ein lang gezogener Laut wie der Schrei eines Tieres oder heulender Wind. Daniel bekreuzigte sich und Betty legte den Kopf in den Nacken und schrie und dann war es so weit. Das Baby kam.
»Hilf mir!«
Daniel ging zum Fußende des Bettes und biss die Zähne zusammen. Er versuchte sich an die wenigen Male in seiner Kindheit zu erinnern, als er seinem Großvater bei der Entbindung von Nutztieren geholfen hatte. Als Erstes kam der Kopf, mit einer Glückshaube aus
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