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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
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umzusehen.
    Sie stand auf, zögerte eine Sekunde und folgte ihm. Das Tier lief schnell und in ihrem Bemühen, mit ihm mitzuhalten, stieß Elsa sich schmerzhaft den Zeh an einem Stein und strauchelte in einer sich plötzlich auftuenden Furche im Boden. Der Hund rannte weiter, huschte durch weglose Täler und steile Abhänge hinauf, die sie auf allen vieren erklimmen musste. Als sie das obere Ende einer Bergkuppe erreichte, schrie sie auf, weil sie sich plötzlich Auge in Auge mit dem Hund wiederfand, der direkt an der Kante auf sie wartete. Sein Atem stank nach Fleisch. Dann sah sie hinter dem Hund, am Ende eines langen und sanften Abstiegs, die Lichter von Thunderstown.
    Elsa lachte, als sie die Spirale aus glühendem Bernstein erkannte, so einladend nach all der Orientierungslosigkeit. Im nächsten Moment jedoch musste sie ihre Augen gegen einen unvermittelten Windstoß abschirmen, der sich wie aus dem Nichts erhob, eine Staubwolke vom Boden aufwirbelte und ihr das Haar um die Ohren peitschte. Doch diese Bö roch nicht frisch wie eine alpine Brise, sondern muffig, wie das Fell eines wilden Tieres. Dann ebbte der Wind wieder ab und Elsa nahm die Hände von den Augen. Sie wandte sich dem Hund zu, um ihn zum Dank zu streicheln oder zu kraulen, doch er war nicht mehr da. Überrascht sah sie sich um. Er musste weggelaufen sein, verschwunden in der Dunkelheit.

Als Elsa sich am nächsten Morgen auf den Weg zur Arbeit machen wollte, stand Kenneth vor seinem Haus in der Prospect Street auf einem Gartenstuhl und hob ein batteriebetriebenes Radio Richtung Himmel wie eine Opfergabe. An der Antenne hatte er eine Verlängerung, bestehend aus einem verbogenen Drahtkleiderbügel, befestigt, die er nun ein kleines Stückchen weiter nach links knickte. Das Geräusch aus den Lautsprechern veränderte sich ein wenig, doch noch immer war nichts zu hören außer statischem Rauschen und Knacken.
    »Oh, hallo, Elsa«, sagte er, als er sie bemerkte. Er hielt weiter das Radio hoch. »Liegt an der Hitze, weißt du? Lässt den Empfang verrücktspielen und dabei ist doch heute das Testspiel. Beim Fernseher ist nichts mehr zu machen und, wie’s aussieht, beim Radio auch nicht.«
    Sie hatte schlecht geschlafen, und nachdem sie den Versuch in der Frühe schließlich ganz aufgegeben hatte, waren fünf Minuten verstrichen, bis sie den Mut gefunden hatte, die Vorhänge zu öffnen, aus Angst, wieder einen Hund unter ihrem Fenster hocken zu sehen. Als sie sich endlich überwunden hatte, war der Hof leer, doch das Unbehagen blieb.
    »Elsa?« Kenneth ließ sein Radio sinken. »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Ja«, sagte sie. Und dann, nach einer Pause: »Ich würde dich gern was fragen. Das klingt jetzt vielleicht verrückt, aber … Ich sehe ständig diese Hunde.« Und sie erzählte ihm von den Tieren, dem ersten, der am Morgen zuvor im Hof gelauert hatte, und dem zweiten, der sie letzte Nacht nach Hause geführt hatte. Den Mann, dem sie begegnet war, erwähnte sie nicht, obwohl sie Kenneth anmerkte, wie sehr ihn der Gedanke, dass sie nach Einbruch der Dunkelheit durch die Berge streifte, beunruhigte.
    »Hör zu, Elsa, ich habe dich ja schon einmal vor diesen Hunden gewarnt. Das sind keine normalen Hunde. Die sind anders.«
    »Was meinst du damit?«
    Er kratzte sich am Kopf und warf einen wehmütigen Blick auf sein nutzloses Radio.
    »Ach komm, Kenneth. Das ist doch noch nicht alles, was du sagen wolltest.«
    Er räusperte sich. »Ich glaube nur nicht, dass du es verstehen würdest. Sie sind ein Teil des Wetters.«
    »Ein Teil des Wetters?«
    Zum ersten Mal, seit sie Kenneth kennengelernt hatte, sah Elsa einen Hauch von Ärger über sein Gesicht huschen, obwohl er ihn schnell wieder verbarg. »Na ja, du kannst natürlich glauben, was du willst. Vielleicht ist das auch nur wieder irgendein Ammenmärchen aus einer ziemlich abergläubischen Stadt.«
    »Tut mir leid, es ist nur … Das kann doch nicht dein Ernst sein, oder?«
    »Sieh mal, Elsa, ich will die Dinge doch nur ein bisschen klarer für dich machen. Und ich kann dir versichern, dass ich mit der Welt sehr viel besser zurechtkomme, seit ich nicht mehr versuche, sie in Sachen einzuteilen, an die ich glaube oder nicht glaube. Irgendwann habe ich angefangen, nur noch an eine einzige Sache zu glauben: meine eigene Unwissenheit. Die Welt ist nun mal einfach zu groß, um in Kenneth Oliviers Kopf zu passen.«
    »Tut mir leid. Ich habe dich gedrängt und dabei bin ich wohl ein bisschen zu weit

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