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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
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Dingen wie dir, Finn.
    Als der Blitz aus dir hervorbrach, sagte er, das sei der Beweis. Dafür, dass mit dir etwas nicht stimmt, dass es in Ordnung gebracht werden musste. Ich entgegnete, das sei lediglich der Beweis dafür, dass du ein Wunder bist. Daraufhin flammte eine Art wilder Fanatismus in ihm auf und mir wurde beinahe übel, wenn ich ihm nur in die Augen blickte. Er erklärte voller Inbrunst, dass wir alle verdammt seien. Dann ging ich zu dir und, wie ich schon sagte, ich war dir nicht böse für das, was passiert ist, und doch wurde mein Körper, sobald ich dich nur sah, starr vor Angst.
    Ich bin in einer rationalen Welt aufgewachsen, Finn. An einem weit, weit entfernten Ort. Ich bin Vernunft gewohnt: Wenn ich weiß, dass ich keine Angst vor dir habe, dann folgt daraus, dass ich auch keine habe. Aber mein Körper scheint anders darüber zu denken. Ich habe mir wieder und wieder den Kopf darüber zerbrochen und ich wollte, dass zwischen uns alles wieder so ist wie vorher. Doch als ich dich zum ersten Mal, nachdem dein Blitz mich getroffen hatte, wiedersah, wirktest du so klein und verschämt, und trotzdem war ich außer mir vor Angst. Es tut mir so unendlich leid, wie du dich in diesem Moment gefühlt haben musst.
    Danach bin ich zu Daniel zurückgekehrt. Endlich verstand ich ihn, denn es war seine Angst, die ich nun in mir trug. Er hatte sie an mich weitergegeben, genau wie er es immer beabsichtigt hatte, allein durch seine Überzeugungskraft. Doch von dem Moment an, in dem ich ihn verstand, liebte ich ihn nicht mehr, und mir wurde klar, dass ich weg von ihm und Thunderstown musste.
    Du dagegen bist meine Erlösung: Ein Kind, obwohl ich nie eins haben konnte. Doch ich fühle mich, als müsste ich ersticken, wenn Daniel in meiner Nähe ist. So als füllten seine Worte die Luft mit Rauch. Jedes Mal, wenn er den Mund öffnet, zucke ich zusammen. Darum muss ich gehen, und wenn du diesen Brief liest, habe ich Thunderstown längst verlassen. Ich habe Daniel gebeten, sich um dich zu kümmern. Bitte, versuche auch du dich um ihn zu kümmern, so gut du kannst. Er ist halb verrückt vor Angst, auch wenn er es selbst nicht weiß. Mach dir keine Sorgen, ich komme bald zurück, ich brauche nur ein bisschen frische Luft und andere Menschen um mich herum. Vielleicht bist du zu jung, um ein solches Bedürfnis nachvollziehen zu können, aber ich habe gelernt, dass es manchmal gerade die Dinge sind, die wir nicht verstehen, die den tiefsten Eindruck hinterlassen, und wir müssen uns entscheiden, ob wir sie ersticken oder uns von ihnen tragen lassen. Es gibt keinen Mittelweg.
    Eins noch: Du bist ein Mann. Jetzt, da du weißt, was in dir ist, bist du erwachsen. Du könntest kein Kind mehr sein, selbst wenn du es wolltest. Und das Schreckliche und Wunderbare am Erwachsenwerden ist, dass du alles selbst herausfinden musst. Du wirst es gut machen, da bin ich mir sicher, und irgendwann werden wir wieder zusammen sein. Deine dich liebende Mutter, Betty
     
    Eine Weile rührte sich Daniel nicht. Der Sekundenzeiger der alten Uhr wanderte träge über das Zifferblatt, und erst als er eine volle Umrundung hinter sich gebracht hatte, stieß Daniel ein Winseln aus und schlug sich mit den Fäusten auf die Knie. Er zerkrümelte sein Brot zwischen den Fingern. Sie konnte diese Dinge nicht ernst gemeint haben. Niemals hätte er sie dermaßen beeinflussen können mit dem, was er über Finn gedacht hatte.
    »Weil es nämlich falsch war, Betty!«, heulte er. »Falsch!«
    War er, mit seinen ständigen Tiraden, etwa wirklich derjenige gewesen, der ihr Denken verändert und ihre Gefühle für ihn zum Erlöschen gebracht hatte? »Der Mensch«, hatte sein Vater immer gesagt, »ist dazu verdammt zu lieben. Dazu, all diese starken Gefühle zu verspüren. Der Mensch«, hatte sein Großvater grinsend hinzugefügt, »hat die Liebe erfunden, weil er schwach ist, denn ein liebender Mensch ist ein Mensch, der seine Deckung vernachlässigt, und darauf kann nur der Todesstoß folgen.«
    »Allerdings«, grollte Daniel wie zur Antwort auf die Stimmen seiner Ahnen, »erwähnt ihr mit keinem Wort, was man dagegen tun soll.« Es kam ihm lächerlich vor, darüber nachzugrübeln, wenn die Liebe doch den gesamten Körper befiel und nicht bloß den Kopf und es sowieso nichts gab, wodurch man das verhindern konnte. Es interessierte ihn nicht, ob die Liebe nun eine Schwäche oder ein Fluch war, denn sie zu unterdrücken war genauso zum Scheitern verurteilt wie der

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