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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
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gewonnen hatte, um ihn wieder zu verlassen. Sie war nicht aus New York geflohen, weil sie Abwechslung gesucht hatte. Sie war dort weggezogen, weil sie ein neues Leben gesucht hatte. Kenneth würde enttäuscht sein und ihr wurde bewusst, wie sehr sie ihn verletzen würde, wenn sie wieder ging; andererseits könnten sie ja trotzdem in Verbindung bleiben.
    Der Wind strich über sie hinweg und entlockte der Luft Töne, als spielte er auf einer Säge.
    Elsa dachte an den Hund, der an diesem Morgen in ihr Zimmer eingedrungen war und den Drachen zwischen die Zähne genommen hatte. Dieser Drachen war nun schon weit weg, ganz allein über unerforschten Gebieten.
    »Abgemacht«, sagte sie.
    »Was? Ist das dein Ernst?«
    Sie zog an Finns Arm, bis er über ihr war und auf sie hinuntersah, nicht viel mehr als ein Zentimeter Luft zwischen ihnen. »Mein absoluter Ernst. Aber jetzt lass uns erst mal einfach nur hier liegen.«
    Er grinste. Und plötzlich bildete sich um seinen Kopf wieder eine champagnerfarbene Wolke, die das Licht reflektierte und ihn mit einer schimmernden Aura umgab. Es war ein gasartiger Heiligenschein, zerfranst und ausgedünnt vom Wind. Sie strich über die kahle Krümmung seines Schädels und die Wolke zerteilte sich unter ihrer Hand.
    »Das hier bedeutet, dass du glücklich bist«, flüsterte Elsa, »und ich freue mich so sehr, dass ich dir dabei geholfen habe, es zu werden.«

Am Morgen stieg Daniel Fossiter auf den Drum Head, um die Fallen zu überprüfen, die er dort aufgestellt hatte. Er schmeckte Feuchtigkeit in der Luft – ein Wetterumschwung stand bevor. Der Himmel war mit einer zerfetzten Decke aus Altokumuli überzogen, außer ganz im Norden, wo die gezackten Spitzen des Devil’s Diadem Löcher in die Wolken gerissen hatten. Über ihm hockte die Sonne auf dem Gipfel, als überlegte sie, sich wieder hinter dem Berg zu verkriechen. Unten in Thunderstown hatte jemand ein Feuer entzündet: Eine dünne Rauchspirale stieg von irgendwo in der Nähe der Corris Street in den Himmel.
    Daniel schnaubte und wandte der Stadt den Rücken zu. Er litt noch immer darunter, wie Sidney Moses und seine Anhänger ihn behandelt hatten. Er hätte seine Pflicht tun und dieses Wasserpferd töten sollen, anstatt sich in seiner Gefühlsduselei zu verlieren, die ihn vermutlich wie ein kläglich blökendes kleines Lamm hatte erscheinen lassen.
    * * *
    Er gelangte zu einem Teil des Berges, wo messerscharfe Speere aus Schiefer aus dem Boden ragten. Um seinen Weg bergauf fortzusetzen, musste Daniel sich dazwischen hindurchschlängeln – die Schieferspitzen standen so dicht und gleichmäßig wie Bäume in einem Wald. Dies war ein guter Ort für die Ziegenjagd, denn die Pfade zwischen den Felsen waren schmal und bestens dafür geeignet, Fallen auszulegen und das ganze Gebiet in ein regelrechtes Minenfeld zu verwandeln. Er ging äußerst vorsichtig, den Blick ununterbrochen auf den steinigen Boden gerichtet, um zu verhindern, dass er selbst einer seiner gut getarnten Fallen zum Opfer fiel. »Ha!«, rief er und der Laut hallte von den Felssäulen wider. Sidney Moses würde hier oben keine fünf Minuten durchstehen. Wahrscheinlich würde er sich glatt die Hände abhacken, wenn er versuchte, seine erste Falle zu spannen. Genauso wie Hamel Rhys hier oben absolut geliefert wäre, oder Sally Nairn, und selbst ein Mann wie Abe Cosser, der sich in den Bergen auskannte, würde nicht weit kommen.
    Die ersten beiden Fallen, die Daniel erreichte, waren leer, in der dritten aber lag eine junge Zicke, die offenbar in der Nacht zwischen den eisernen Zähnen verendet war. Er öffnete die Bügel und warf den Kadaver an den Fuß eines Felsens, wo schon bald die Krähen darüber herfallen würden. Dann machte er die Falle wieder scharf, indem er die Feder spannte, die die beiden Bügel öffnete und zu einem tödlichen Kreis fixierte. Eine Weile blieb er noch dort stehen und blickte auf das gezackte Metall hinunter.
    Rational betrachtet, war das Ganze die reinste Zeitverschwendung. Das hatte sogar sein Großvater zugegeben. Einem einzigen Mann mit einer Schrotflinte und einer Sammlung von Fallen würde es niemals gelingen, die Ausbreitung einer ganzen Tierart unter Kontrolle zu halten. Doch es war der Einsatz, der zählte. Denn die eigentliche Arbeit des Bergjägers fand nicht in den Bergen statt, sondern in den Köpfen der Menschen unten in der Stadt, wo man die Gewissheit brauchte, dass dort draußen in der Wildnis jemand für die Sicherheit von

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