Der Mann, der den Zügen nachsah
der Stelle verhaftet zu werden?«
»Da müßte man mich erstmal erkennen…«
»Und wo willst du schlafen? Du vergißt, daß man dich nach deinem Ausweis fragen kann.«
»Das wäre ärgerlich, in der Tat!«
Er hatte noch keine Zeit gehabt, an all das zu denken; er hatte so tief geschlafen, daß er eine gewisse Zeit zum Nachdenken brauchte.
»Ich werde mich gleich damit befassen. Übrigens, ich habe nicht mal eine Zahnbürste. Ist heute nicht der 24. Dezember?«
»Ja.«
»Werden keine Weihnachtsbäume geschmückt?«
»Man feiert Heiligabend… Souper und Tanz in allen Restaurants, in allen Cafés… Sag mal, machst du dich vielleicht nicht doch über mich lustig?«
»Wieso?«
»Ich weiß nicht. Es macht dir nichts aus, mich mit dem Wissen, daß du Popinga bist, herumlaufen zu lassen?«
Da war es, wieder einmal! Die Leute mußten ihm um jeden Preis eine andere Persönlichkeit als die seine andichten.
»Ich will dir mal etwas sagen«, nahm Jeanne Rozier den Faden wieder auf. »Ich verspreche dir noch nichts. Vielleicht ist es überhaupt falsch, mich mit dieser Sache zu befassen. Ich werde noch heute von dir zu jemandem sprechen… Oh! Keine Angst, nicht zu einem von der Polizei, sondern zu einem, der dich, wenn er will, aus der Patsche ziehen kann. Nur, ich weiß nicht, ob es funktionieren wird… Solche lasterhaften Sachen, da wird man immer etwas ängstlich…«
Er hörte ihr zu, während er seine schwarzen Schuhe anzog.
»Ich treffe ihn allerdings erst ziemlich spät. Kennst du die Rue de Douai?… Nein?… Das ist hier ganz in der Nähe. Du wirst dich erkundigen. Es gibt da einen Tabakladen, wo du dich nur hinzusetzen und zu warten brauchst. Vielleicht komme ich vor Mitternacht, vielleicht später, denn wir feiern Heiligabend mit einer ganzen Gesellschaft.«
Sie sah ihn ein letztes Mal an und sammelte die Zeitung vom Bett auf.
»Und laß dieses Papier nicht herumliegen. Oft wird jemand dadurch geschnappt… Und, hör zu! Das Zimmer werde ich selbst bezahlen, damit man im Büro nicht auf dich aufmerksam wird. Die wundern sich schon, daß du so lange geschlafen hast. Auch das könnte ein Zeichen sein!«
»Ein Zeichen wofür?«
Aber sie zuckte nur die Achseln und ging.
»Im Tabakladen in der Rue de Douai.«
Auf einem der großen Boulevards, gegen acht Uhr, als Paris wieder zu rührigem Leben erwachte, blieb er vor der sechsten Ausgabe eines Abendblatts stehen, das auf der ersten Seite ein Foto mit der Überschrift brachte:
»Der Mörder von Pamela«
(per Bildfunk aus Amsterdam)
Das war unglaublich! Zunächst fragte er sich, wo dieses Foto herkäme, an das er sich überhaupt nicht erinnern konnte. Dann, als er es näher betrachtete, entdeckte er links von seinem Kopf die Wange einer anderen Person, und da begriff er. Die andere Person war seine Frau. Es war das Foto, das immer auf dem Abstelltisch stand und auf dem die ganze Familie zu sehen war.
Man hatte seinen Kopf aus dem übrigen Bild herausgeschnitten und vergrößert und das Foto obendrein per Bildfunk geschickt, so daß sein Konterfei von Längsstreifen durchzogen war, als ob es im Regen gemacht worden wäre.
An einem zweiten Kiosk blieb er vor der gleichen Zeitung mit dem gleichen Klischee stehen und bedauerte fast, so wenig kenntlich zu sein. Das konnte ebensogut das Bild eines x-beliebigen Passanten sein und nicht seins!
Die Frau des Mörders spricht von einem Anfall von Gedächtnisschwund…
Er ging zu einem dritten Kiosk, kaufte die Zeitung und fragte: »Gibt es noch andere Abendzeitungen?«
Man zeigte sie ihm und er nahm sie mit. »Sie haben wohl keine holländischen Zeitungen?«
»Am Kiosk bei der Opera.«
Überall gingen die Lichter an, und Anschlagzettel luden die Vorbeigehenden ein, für achtzig oder hundert Francs, alles inbegriffen, Heiligabend zu feiern. Das Fest war noch nicht angebrochen, aber man spürte, daß die Stunde nahe war.
»Geben Sie mir bitte die holländischen Zeitungen.«
Er zuckte zusammen. Vor ihm lag die Daily Mail, und sein Foto, das gleiche wie in den französischen Tageszeitungen, prangte auf der ersten Seite.
»Geben Sie mir die Daily Mail und auch die Morni ng Post.«
Je mehr Zeitungen er besaß, desto größer war die Befriedigung, die er empfand, ganz so wie ehemals seine Befriedigung, wenn er sah, wie sich die Arbeit auf seinem Schreibtisch häufte. Sollte er sich wohl jetzt schon zu dem Tabakladen in der Rue de Douai
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