Der Mann, der den Zügen nachsah
und die Vorhänge noch nicht aufgezogen, so daß mehr als die Hälfte des Zimmers im Dunkel lag. Nur eine schmale Bahn von Helligkeit drang herein.
Und eben da im Gegenlicht stand Jeanne Rozier, fertig angekleidet, mit der Hose von Kees in der Hand.
Sie durchwühlte die Taschen, denn sie hatte am Abend zuvor gesehen, wie er sein Geld in die Hosentasche gestopft hatte. Sie war so sehr darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, daß sie vor Eifer das Gesicht komisch verzog, worüber Kees, ohne es zu wollen, lächeln mußte.
Obwohl es ein stummes Lächeln war, mußte sie etwas gemerkt haben, denn sie wandte sich plötzlich zu ihm um. Und ebenso plötzlich schloß er wieder die Augen, und sie fragte sich, ob er nun schliefe oder sich nur schlafend stellte.
Es war köstlich zu spüren, wie sie da in dem schwachen Licht unschlüssig stand, die Hose in der Hand, mit angehaltenem Atem und sich nicht traute, die geringste Bewegung zu machen. Nur einen Augenblick ließ sie sich verlocken, und ihre Hand griff in die Tasche, doch im nächsten Moment begriff sie die Situation und sagte gedehnt:
»Nun also…«
»Was also?«
»Hast du dich genug über mich lustig gemacht?«
»Wieso?«
»Schon gut… Ich habe begriffen…«
Sie warf die Hose auf einen ausgeblichenen Sessel, zog ihren Mantel aus und kauerte sich neben das Bett.
»Willst du mir vielleicht sagen, warum du nach Paris gekommen bist, ohne Gepäck und die Taschen voll Geld? Stell dich nicht dumm! Ich gestehe, daß ich schon…«
»Aber…«
»Moment!«
Und sie ging zum Fenster, zog die Vorhänge zurück und ließ das kalte Licht herein.
»Nun erzähl!«
Sie setzte sich auf die Bettkante und sah ihren Schlafgenossen gespannt an. Dann seufzte sie:
»Ich hätte gleich sehen müssen, daß du kein gewöhnlicher Kunde bist… Als du heute nacht von ›Geschäften‹ geredet hast, was sollte das heißen? Jede Wette, daß du mit Stoff handelst! Wage nur, das abzustreiten!«
4
Wie Kees den Heiligabend verbringt
und wie er sich in der Morgenfrühe
ein Auto nach seinem Geschmack
aussucht
Der Portier vom Carlton hielt ihn für verrückt. Jeanne Rozier hatte ihn, weil er sich nicht entrüstete, als er sie beim Durchwühlen seiner Taschen ertappte, für einen Rauschgifthändler gehalten. Im Grunde war ihm das ganz recht. Vierzig Jahre lang hatte er sich alle Mühe gegeben, für Kees Popinga gehalten zu werden und sich mit keiner Reaktion anders zu verhalten als der, der er zu sein hatte.
»Ich bin müde«, murmelte er, ohne seiner Begleiterin zu antworten, die wieder näher an sein Bett getreten war.
In ihren grünlichen, fahlrot gesprenkelten Augen las er mehr als bloße Neugier. Sie war beunruhigt. Es paßte ihr nicht wegzugehen, ohne etwas erfahren zu haben. Mit einem Knie auf dem Bett fragte sie leise:
»Willst du nicht, daß ich mich noch einen Moment zu dir lege?«
»Ist nicht der Mühe wert.«
In der Hand hielt sie die Geldscheine, die sie aus seinen Taschen genommen hatte, und legte sie ostentativ auf den Tisch.
»Ich lege sie hier hin, siehst du?… Sag! So einen, kann ich mir den nehmen?«
Seine Schläfrigkeit ging nicht so weit, um nicht zu
bemerken, daß es ein Tausend-Francs-Schein war, den sie in der Hand hielt, aber was kam schon darauf an? Er drehte sich auf die Seite.
Jeanne Rozier hatte in der Morgenkälte nur ein paar hundert Schritte zu gehen und drei Treppen zu steigen, dann war sie bei sich zu Hause, in einer kleinen möblierten Wohnung der Rue Fromentin, wo sie die Tür geräuschlos öffnete und schloß, der Katze Milch gab, sich ebenso leise auszog und in ein Bett schlüpfte, in dem schon ein Mann lag.
»Rück etwas zur Seite, Louis.«
Louis rückte grunzend ein wenig.
»Du, ich komme von einem komischen Typ… Er hat mir fast Angst gemacht…«
Aber Louis hörte nicht zu, und nachdem sie wohl eine
Viertelstunde gelegen und auf den Spalt im Fenstervorhang gestarrt hatte, schlief Jeanne Rozier ihrerseits ein, diesmal richtig, in ihrem eigenen Bett, in der vertrauten Wärme von Louis, der einen seidenen Pyjama anhatte.
Fast zu dieser selben Stunde, da sich die Büros, eins nach dem anderen, wieder mit Menschen füllten, die keine große Lust auf ihre Arbeit hatten und denen die erste Zigarette nicht recht schmecken wollte, traf in der Rue des Saussaies das Telegramm ein.
Polizei Amsterdam an Sûreté nationale Paris Ein gewisser Kees Popinga, 39, wohnhaft in
Weitere Kostenlose Bücher