Der Mann, der den Zügen nachsah
unwiderstehliches Bedürfnis, sich lang auszustrecken, aber es lohnte sich nicht, einen Tag wie diesen zu erleben, wenn man ihn durch Schlafen verkürzte.
»Warum kann ich nicht bei dir schlafen?«
»Weil ich einen Freund habe!«
Er sah sie argwöhnisch an.
»Wie ist er? Schon alt?«
»Er ist dreißig.«
»Und was macht er?«
»Handelsgeschäfte…«
»Ah! Ich auch, ich treibe auch Handel.«
Er fuhr fort, mit sich einverstanden zu sein, sich stillvergnügt zu amüsieren, seine eigenen Reden zu genießen, seine Gesten und sein Gesicht, das er in einem Spiegel sehen konnte.
»Voici, Monsieur!«
Seine Selbstzufriedenheit hinderte ihn nicht, das Geld sorgsam zu zählen und dann zu bemerken:
»Sie haben zu einem schlechten Kurs gewechselt. In Amsterdam hätte ich drei Punkte mehr bekommen.«
Als sie draußen waren, sah Jeanne Rozier, die einen Pelzmantel trug, ihn noch einmal zögernd an:
»Wo bist du abgestiegen?«
»Ich bin nirgendwo abgestiegen. Ich bin direkt vom Bahnhof gekommen.«
»Und dein Gepäck?«
»Ich habe kein Gepäck.«
Einen Moment lang fragte sie sich, ob sie nicht besser täte, ihn abblitzen zu lassen.
»Was haben Sie denn?« fragte er, von ihrer sonderbaren Haltung überrascht.
»Nichts! Komm! Es gibt ein Hotel in der Rue VictorMasse, wo es ganz sauber ist.«
In Paris gab es keinen Schnee. Auch keinen Frost. Popinga fühlte sich so leicht wie der Champagner, den er getrunken hatte. Seine Begleiterin betrat das Hotel, als wäre sie bei sich zu Hause und rief durch die verglaste Tür:
»Keine Umstände… Ich nehme die Nummer 7…«
Sie machte selbst das Bett zurecht, schloß die Tür ab und tat einen leichten Seufzer.
»Ziehst du dich nicht aus?« fragte sie von der Waschnische aus.
Ja, warum nicht. Er würde alles tun, was man von ihm verlangte.
Er war folgsam und unbeschwert wie ein Kind. Er wollte glücklich sein wie alle Welt!
»Bleibst du lange in Paris?«
»Vielleicht für immer…«
»Und so ganz ohne Gepäck?«
Sie hatte kein rechtes Zutrauen und zog sich mißmutig aus, während er, auf dem Bett sitzend, sie wohlgefällig betrachtete.
»Woran denkst du?«
»An nichts! Du hast ein hübsches Hemd… Ist das aus Seide?« Sie behielt es an, um ins Bett zu schlüpfen, ließ das Licht an und wartete.
»Was machst du?« fragte sie nach einer Weile.
»Ich mache nichts!«
Er rauchte weiter seine Zigarre, einfach so, auf dem
Rücken liegend, den Blick zur Decke gerichtet.
»Du bist doch nicht nervenkrank?!«
»Nein.«
»Stört es dich, wenn ich das Licht ausmache?«
»Nein.«
Sie knipste aus, fühlte, daß er immer in der gleichen Lage neben ihr blieb, immer gleich unbeweglich, die Lippen um seine Zigarre gerundet, die einen kleinen rotglühenden Punkt in der Dunkelheit bildete.
Und dann war sie es, die unruhig wurde.
»Warum hast du mich eigentlich mitgenommen?« fragte sie, nachdem sie sich drei- oder viermal umgedreht hatte.
»Ist es nicht angenehm so?«
Er spürte ihren warmen Körper nahe bei sich, aber das verschaffte ihm nur ein ganz ehrbares Wohlbehagen, denn er sagte sich:
»Wenn Mama hier wäre…«
Dann stand er unvermittelt auf, suchte sein Jackett, entnahm ihm das Notizbuch und fragte:
»Wie ist die Adresse?«
»Was für eine Adresse?«
»Wo wir hier sind…«
»37 b, Rue Victor-Masse. Mußt du das unbedingt aufschreiben?«
Ja! Wie manche Reisenden Ansichtskarten oder Speisekarten von Restaurants sammeln. Er legte sich wieder hin, drückte seine Zigarre im Aschenbecher aus und murmelte: »Mir ist noch immer nicht zum Schlafen… Womit handelt er denn?«
»Wer?«
»Dein Freund.«
»Er handelt mit Autos. Aber wenn das alles ist, was du mir zu sagen hast, wäre mir lieber, du ließest mich schlafen. Du bist wirklich ein komischer Vogel! Wann soll ich dich morgen wecken?«
»Du weckst mich nicht.«
»Um so besser! Hoffentlich schnarchst du wenigstens nicht?«
»Nur wenn ich auf der linken Seite schlafe.«
»Dann versuche auf der rechten zu schlafen.«
Er blieb noch lange wach, mit offenen Augen, und das Komischste war, daß seine Genossin ein regelmäßiges Schnarchen hören ließ, worüber er leise in sich hinein lachte.
Im übrigen hatte das eine kleine Ähnlichkeit mit der Szene vom Vorabend in Groningen, als er mit offenen Augen sah, wie Frau Popinga, sich unbeobachtet glaubend, sich ankleidete.
Es war Tag, aber noch nicht sehr hell
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