Der Mann, der den Zügen nachsah
begeben?
Es war besser, erst einmal zu essen, und so ließ er sich im Café de la Paix nieder, wo die Kellner gerade dabei waren, die letzten Girlanden und die Mistelzweige aufzuhängen.
Das erinnerte ihn daran, daß Amersen an diesem Morgen den Weihnachtsbaum geliefert haben mußte, den er bei ihm bestellt hatte. Was würde man nun im Hause damit machen? Und was mochte ein Mädchen wie Frida denken?
Er hatte sich nie für die Nebensächlichkeiten interessiert, wenn er in seiner Zeitung die vermischten Nachrichten las, und nun, da er selbst darin stand, kamen ihm diese vielfältigen Konsequenzen zum Bewußtsein.
Er hatte zum Beispiel eine Lebensversicherung. Aber was wird aus einer Lebensversicherung, wenn der Kunde als Mörder gesucht wird?
»Ist es so recht?« hatte ihn der Oberkellner gefragt, bei dem er ein nicht durchgebratenes Beefsteak bestellt hatte.
»Es ist ganz in Ordnung!« erwiderte er in überzeugtem Ton.
Allerdings war es schwierig, zu essen und dabei seine Zeitung zu lesen, und auch das Backwerk fand er bei weitem nicht so schmackhaft wie in Holland. Er hätte es gern süßer gehabt. Auch trank er seinen Kaffee mit Schlagrahm und Vanillezucker, wofür der Oberkellner kein Verständnis hatte.
Wirklich fassungslos mußte aber Jeanne Rozier gewesen sein! Das zeigte sich darin, daß sie sich seiner annahm, obwohl er sie um nichts dergleichen gebeten hatte. Was mochte sie wirklich denken? Offenbar, daß er äußerst kaltblütig sei! Das dachte er selbst von sich. Um sich das einmal mehr zu beweisen, fragte er an der Ecke des Boulevard des Capucines einen Polizisten nach dem Weg zur Rue de Douai.
Dort in einem Ecklokal war eine Theke und ein Stand
mit Tabakwaren, dann hinter einer gläsernen Trennwand ein kleines Café mit acht Tischen. Kees Popinga ließ sich in dem Café nieder und hatte das Glück, eine freie Ecke gleich hinter der Glaswand zu finden. Draußen sah er die Leuchtschilder der Nachtlokale, die nacheinander aufflammten, aber die Portiers und die Berufstänzer standen noch an der Bar und beredeten ihre Angelegenheiten. In einer Ecke, ihm gegenüber, saß wartend eine Blumenhändlerin, den Korb zu ihren Füßen, und trank einen Café und ein Glas Rum.
»Kellner, bringen Sie mir auch einen Kaffee!«
Er war ein wenig enttäuscht von diesem sonderbaren Weihnachtsabend, der sich um ihn herum entwickelte und der gar kein richtiger Weihnachtsabend war, sondern eine Art von zügelloser Prasserei. Schon um neun Uhr stieß man auf Betrunkene, und von der Mitternachtsmesse war überhaupt nicht die Rede.
(Von unserem Sonderberichterstatter in Groningen.)
Während unsere Dienststellen in Amsterdam ihre Nachforschungen im Carlton fortsetzen, wo die unglückliche Pamela den Tod gefunden hat, sind wir in aller Eile nach Groningen gefahren, um Auskünfte zur Person des Kees Popinga, des Mörders der Tänzerin, einzuholen…
Kees seufzte, wie er zu seufzen pflegte, wenn einer der Angestellten von Julius de Coster einen unverzeihlichen Schnitzer gemacht hatte; dann zog er das rote Notizbuch aus der Tasche, schrieb das Datum und den Namen der Zeitung hinein und darunter: Nicht Mörder, sondern Täter. Nicht aus dem Auge verlieren, daß der Tod nur ein unglücklicher Begleitumstand gewesen ist.
Er warf einen Blick auf die Blumenhändlerin, die im Warten auf das Ende der Theatervorstellungen vor sich hin döste, und fuhr mit seiner Lektüre fort.
Groß war unsere Betroffenheit, hieß es in der Zeitung weiter, als wir erfuhren, daß Kees Popinga als ehrenwerter Mann bekannt war und daß die Nachricht eine regelrechte Bestürzung in der Stadt ausgelöst hat, wo jedermann sich jetzt in Mutmaßungen ergeht…
Er unterstrich das Wort Mutmaßungen mit seinem Stift, denn er fand es gesucht.
Im Haus von Popinga, wo der Schmerz seiner Familie einen ergreifenden Anblick bot, war Madame Popinga immerhin zu Erklärungen bereit…
Ungerührt, zwischen zwei Zügen aus seiner Zigarre, notierte er: Mama hat also doch die Journalisten empfangen!
Und dann lächelte er, weil der Kopf der Blumenhändlerin ruckartig auf die Brust gefallen war. … und sie hat uns erklärt, daß nur ein plötzlicher Anfall von Irresein, ein momentaner Gedächtnisschwund diese Handlung erklären könnte, die…
Es amüsierte ihn, auch das Wort »Handlung« zu unterstreichen, wenn Mama es wirklich ausgesprochen haben sollte.
Dann begann er eine neue Seite in dem Notizbuch und
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