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Der Mann, der den Zügen nachsah

Der Mann, der den Zügen nachsah

Titel: Der Mann, der den Zügen nachsah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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links?«
    »Weder nach links noch nach rechts. Sie müssen ganz Paris durchqueren.«
      »Das macht nichts. Ich werde die Polizisten nach dem Weg fragen.«
      »Sie sind entweder verrückt oder Sie haben nicht begriffen! Es handelt sich darum, einen Wagen zu nehmen, das heißt eins der Autos, die den Leuten gehören, die in dem Nachtlokal beim Souper sind…«
      »Ich habe sehr wohl verstanden. Eben darum ist es besser, Polizisten zu fragen, um ihnen Vertrauen einzuflößen.«
      »Versuchen Sie Ihr Glück! Nur warne ich Sie, daß Louis und seine Freunde nicht lange auf Sie warten werden. Noch etwas: die wollen keinen großen Schlitten. Es soll ein gängiges Markenauto sein.«
      Sie hatte sich zu ihm gesetzt, und einen Augenblick bedauerte er, die Gelegenheit nicht ausgenutzt zu haben, als dazu genügend Zeit war. Wieso hatte er eigentlich nicht bemerkt, daß das der Mühe wert war?
    »Wann werde ich Sie wiedersehen?« fragte er leise.
      »Ich weiß nicht… Das hängt von Louis ab… Achtung! Da kommen sie heraus.«
      Er bezahlte seine Zeche, nahm den Mantel über die Schulter und rollte die Zeitungen zusammen, um sie in die Tasche zu stecken. Aus der pompösen Reihe der längs der Straße geparkten Autos setzten sich zwei in Bewegung.
    »Sagen Sie mir nicht auf Wiedersehen?«
    »Ja… Ich mag Sie sehr… Sie meinen es gut mit mir…«
      Und als er draußen war und das Gefühl hatte, daß sie ihn durch die Scheibe beobachtete, ging er am Trottoir entlang wie ein Mann, der nur daran denkt, nach Hause zu kommen, warf einen Blick auf zwei oder drei Wagen und stieg dann in den vierten und betätigte den Anlasser.
    Das Auto fuhr sanft an, scherte aus der Reihe aus, folgte
    einen Moment einer großen Limousine mit mehreren Frauen darin, und als Popinga sich umwenden und Jeanne Rozier zum Abschied zuwinken wollte, war der Tabakladen der Rue de Douai, wo er seinen Weihnachtsabend verbracht hatte, schon nicht mehr zu sehen.

    5

    Wie Popinga, von einem
    verwandelten Popinga in Overall und
    Pullover, der in einer Autowerkstatt
    arbeitet, enttäuscht, ein weiteres Mal
    seine Unabhängigkeit demonstriert

    Es war noch nicht zehn Uhr am Morgen. Die Concierge war als einzige schon aufgestanden, und die Post war noch in einer Ecke der Portierloge gestapelt neben einer unberührten Flasche Milch und einer Stange Brot. Die Straßen waren leer, von jener trostlosen Leere des auf ein Fest folgenden Morgens; auch die Taxis waren nicht an ihrem Platz, und man sah nur ein paar Gläubige, die mit von der Kälte geröteter Nase zur Messe gingen.
      »Was ist los?« fragte Jeanne Rozier mit belegter Stimme, nachdem sie schon seit mehreren Minuten ein Geräusch wahrgenommen hatte, ohne daß sie dieses Geräusch mit der Tür ihrer Wohnung in Verbindung brachte.
    »Polizei!«
      Bei dem Wort wurde sie richtig wach und, während sie mit den Zehenspitzen ihre Pantoffeln suchte, brummte sie:
    »Warten Sie, einen Moment…«
    Sie war bei sich zu Hause, Rue Fromentin. Sie hatte allein geschlafen. Ihr grünseidenes Abendkleid lag über einem Stuhl, ihre Strümpfe am Fuß des Bettes; sie hatte ihr Hemd vom Abend anbehalten, über das sie jetzt einen Morgenmantel nahm, ehe sie zur Tür ging, um zu öffnen.
    »Was wollen Sie?«
      Sie kannte den Inspektor flüchtig vom Sehen. Er trat ins Zimmer, nahm den Hut ab, knipste das Licht an und erklärte lediglich:
      »Ich komme von Kommissar Lucas, der Sie zu sehen wünscht. Ich habe den Befehl, Sie zum Quai des Orfèvres zu führen.«
    »Der arbeitet auch an Feiertagen?«
      Vielleicht war Jeanne Rozier so unordentlich, wie sie dem Bett entstiegen war, noch hübscher als fertig angezogen. Ihre roten Haare fielen ihr teilweise ins Gesicht und ihre noch ungeschminkten Augen blickten mißtrauisch wie die von einem Tier.
      Sie hatte begonnen, sich anzukleiden, ohne sich durch den Inspektor stören zu lassen, der eine Zigarette rauchte und sie nicht aus den Augen ließ.
    »Wie ist das Wetter?« fragte sie.
    »Harter Frost.«
      Sie begnügte sich mit einem flüchtigen Make-up. Als sie auf der Straße waren, fragte sie:
    »Sie sind nicht mit dem Taxi gekommen?«
    »Nein. Ich habe dazu keine Weisung erhalten.«
      »Dann werde ich das Taxi bezahlen. Ich habe keine Lust, im Bus durch halb Paris zu zockeln!«
    Als sie am Quai des Orfèvres ankamen, wo die Gänge leer und die meisten Büros nicht besetzt waren, hatte sie, ohne sich etwas anmerken zu lassen, alle erdenklichen

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