Der Mann, der den Zügen nachsah
hat mich gefragt, ob ich mich im Süden auskenne. Ich glaube, er hat auch von Nizza gesprochen.«
Sie war aufgestanden. Der Kommissar dankte ihr, und
eine Viertelstunde später war Jeanne Rozier wieder bei sich zu Hause, wo sie, statt zu Bett zu gehen, ein heißes Bad nahm und sich dann schlicht ankleidete.
Gegen halb eins erschien sie im Chez Mélie, ihrem Stammrestaurant in der Rue Blanche, wo sie sich an ihren Tisch setzte und einen Portwein bestellte, denn sie hatte keinen Hunger.
»Louis?« fragte der Kellner, als ob das Wort schon für einen ganzen Satz stünde.
»Weiß nicht. Nehme an, er kommt noch.«
Um drei Uhr war er immer noch nicht da. Jeanne Rozier hinterließ eine Nachricht für ihn und ging in ein Kino in der Nähe, wo sich erst um fünf Uhr jemand neben sie setzte. Das war er!
»Du kommst spät«, flüsterte sie.
»Ich habe bis Poitiers fahren müssen.«
»Hör zu! Wir müssen miteinander reden… Vorsicht! Hinter uns könnte man neugierig werden.«
Sie verließen das Kino und gingen in eine Brasserie an der Place Blanche, wo es von Menschen wimmelte.
»Die haben mich heute morgen zum Quai des Orfèvres geholt… Lucas… der, der einen immer wie seine eigene Tochter behandelt und der noch blöder ist als alle anderen zusammen. Wo hast du unseren Spinner gelassen?«
»Bei Goin… Wirklich ’ne komische Type. Fernand, der mit mir im ersten Wagen saß, behauptete, der würde nie mit einem Auto an der Place d’Italie ankommen… Doch siehe! Wir waren selbst kaum angelangt, da sahen wir ein Auto, das uns das Signal gab. Wir fahren mit Vollgas bis nach Juvisy, fahren in die Werkstatt und er hinter uns, als hätte er sein ganzes Leben nichts anderes gemacht.«
»Was hat er gesagt?«
»Nichts! Goin wartete schon mit seinem Mechaniker… Wir haben uns alle an die Arbeit gemacht, und eine Stunde später war alles erledigt. Rose hat uns einen heißen Café gemacht. Es war noch gar nicht hell, da sind wir schon mit den drei Autos losgefahren, in verschiedenen Richtungen, außer deinem Holländer, der dort bleiben wird, bis ich sehe, wie man ihm weiterhelfen kann. Er muß wohl irgendwo Geld in Reserve haben.«
»Wir müssen vorsichtig sein. Die Polizei weiß, daß ich eine Nacht mit ihm zusammen war. Wenn Lucas mich an einem Tag wie heute morgens um zehn holen läßt, dann denkt er sich etwas dabei.«
»Da hat er kein Glück«, brummte Louis. »Ich muß Goin anrufen und es ihm sagen.«
»Und wenn sie dein Gespräch abhören?«
Sie wirkten an ihrem Tisch wie irgendein junges elegantes Paar. Ihre Gesichter verrieten nicht im geringsten, was in ihnen vorging.
»Wir werden uns etwas anderes ausdenken«, sagte Jeanne Rozier, wie um das Thema zu beenden. »Ich werde dir morgen mehr sagen. Heute abend tust du besser, irgendwohin zu gehen, wo man dich sieht, zu einem Boxkampf im Vélodrome oder sonst wohin, ich…«
»Verstehe! Essen wir zusammen zu Abend?«
»Nein! Ich habe denen erzählt, du betrügst mich mit einer Neuen. Du solltest zusehen, daß du eine findest…«
Indem sie das, gleichgültig umherblickend, sagte, kniff sie ihn in den Schenkel und fügte hinzu:
»Nur, laß dir nicht einfallen, damit Ernst zu machen! Sonst…«
Warum hätte Kees sich verwundern sollen, nachdem er die
Geständnisse von Julius de Coster im Kleinen Sankt Georg gehört und für sich entschieden hatte, daß alles, woran er bis dahin geglaubt hatte, nicht existierte?
Vordem hätte er gar nicht bemerkt, daß dies keine Autowerkstatt war wie jede andere. Jetzt begriff er im Gegenteil, daß man eine richtige Werkstatt nicht hundert Meter von der Autobahn entfernt an ein Sträßchen baut, das nirgendwohin führt, noch dazu mit zwei Tanksäulen, die nicht beleuchtet sind, und einem Tor, das sich von selbst öffnet, sobald man ein gewisses Signal mit der Hupe gibt.
Er hatte auch irgendwo im Freien mindestens ein Dutzend Autowracks bemerkt, keine alten Wagen, sondern ziemlich neue Wagen, die einen Unfall gehabt hatten; einer war sogar teilweise verbrannt. Auch hatte er im Licht der Scheinwerfer das Schild gelesen: Goin & Boret – Spezialbetrieb für Auto-Elektrik.
Schließlich hatte er, eine Zigarre rauchend, der Szene, die sich nach ihrer Ankunft entwickelte, beigewohnt. Sie wurden von zwei Männern erwartet, einem großen mächtigen, offenbar Goin, und einem jungen, der bestimmt nicht Boret war, denn alle nannten ihn Kiki. Goin trug einen
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