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Der Mann, der den Zügen nachsah

Der Mann, der den Zügen nachsah

Titel: Der Mann, der den Zügen nachsah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Fremde, »wohne im Grand-Hotel. Da ist es sehr gut.«
      Er hielt ihm sein Zigarrenetui hin, und Kees griff ohne Bedenken zu, denn nach so vielen Tagen und zumal in dieser Umgebung konnte er sich wohl den Luxus einer Zigarre erlauben.
      »Sie wissen wohl nicht, wo man amerikanische Zeitungen bekommt. Ich hätte gern die Börsenkurse…«
      »An allen Kiosken. Einer ist an der nächsten Ecke, nur fünfzig Meter weit.«
      »Sie entschuldigen mich einen Moment? Ich bin gleich zurück. Bestellen Sie noch zwei Würstchen, wollen Sie so gut sein?«
    Es waren nicht mehr viele Leute da, denn es war ein Uhr und die meisten waren zum Lunch gegangen. Popinga wartete fünf Minuten, wunderte sich, daß sein Kumpan noch nicht wieder da war. Dann dachte er an andere Dinge, und als er wieder auf die große Uhr über der Bar blickte, war es viertel nach eins.
      Es war ihm entgangen, daß der Barkeeper ihn aufmerksam beobachtete, auch daß er sich umwandte und leise mit dem Chinesen sprach.
      Der Whisky hatte ihm gut getan. Er fühlte sich in seinem Selbstbewußtsein gestärkt. Er war noch ganz der Mann, um es Typen wie Lucas und Louis zu zeigen, und er schwor sich, noch diesen Nachmittag einen Plan zu entwerfen – da würden sie staunen und die Zeitungen würden sich genötigt sehen, in einem anderen Ton über ihn zu schreiben.
      Wo nur der Amerikaner blieb? Er konnte sich doch nicht verlaufen haben! Popinga ging an die Tür der Bar, blickte über den Bürgersteig, sah den Kiosk an der Straßenecke, aber nicht seinen Kumpanen aus der Bar.
      Dann lachte er vor sich hin bei dem Gedanken, daß er offenbar hereingefallen war und daß der andere ihn mit der Rechnung sitzenließ.
      Noch so ein kleiner Verdruß. Er begann sich allmählich daran zu gewöhnen.
    »Noch einen Whisky bitte!«
      Er konnte sich ruhig ein bißchen betrinken. Er war sicher, daß er, was immer geschähe, genügend Kaltblütigkeit bewahren würde, um sich nicht zu verraten und um…
    Nur um die Zeit hinzubringen, betätigte er einen Kaugummiautomaten, dann verlangte er eine zweite Zigarre, denn die seine hatte er irgendwo fallenlassen, und als er sich dann umsah, stellte er fest, daß die Bar sich ganz geleert hatte und daß der Chinese hinten im Raum allein frühstückte, während der andere Barmann Flaschen und Gläser einräumte.
      Wie gemein war doch dieses Theater, nur um ihn die vier Würstchen und ein paar Whiskies bezahlen zu lassen! Er war nicht reich, gewiß. Mehr als jeder andere brauchte er sein Geld, denn für ihn war das sozusagen eine Frage von Leben und Tod! Schon ein simples Detail sprach Bände: Wenn ein Hemd schmutzig war, konnte er es nicht waschen lassen, sondern mußte ein neues kaufen und das andere, das er nur ein paar Tage getragen hatte und das so gut wie neu war, in die Seine werfen.
      Warum sollte er nicht noch ein Würstchen bestellen, was ihm erlauben würde, auf eine Mahlzeit zu verzichten? Auch kam ihm der Gedanke, den Nachmittag bei den Pferderennen zu verbringen, was eine angenehme Abwechslung wäre, denn es war allmählich zermürbend, seine Runde durch immer die gleichen Lokalitäten zu machen.
      Er wollte schon den Mund aufmachen, um das Würstchen zu bestellen, aber der Barmann tat wie durch Zufall das gleiche, und so ließ Popinga ihn zuerst sprechen.
      »Entschuldigen Sie meine Frage. Kennen Sie den Herrn, mit dem Sie hier waren?«
    Was sollte er antworten? Ja oder nein?
    »Ich kenne ihn ein wenig… ja, ein wenig…«
    Der Barmann, einigermaßen verlegen, fuhr fort:
    »Dann wissen Sie also, was er macht?«
    »Er ist im Lederhandel…«
      Der Chinese an seinem Platz im Hintergrund reckte den Kopf, und Popinga begriff, daß sich irgend etwas anbahnte, und wollte schon im nächsten Moment hinausgehen und sich eilends aus dem Staube machen.
    »Dann hat er Sie angeschmiert!«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
      »Ich habe nicht gewagt, Sie zu warnen, zuerst wegen der Leute und dann, weil ich nicht wußte, ob Sie nicht vielleicht befreundet waren…«
      Und der Barmann, der gerade eine Flasche Gin an ihren Platz zurückstellte, seufzte:
    »… so daß am Ende auch ich der Geprellte bin!«
    »Ich verstehe nicht!«
      »Ich weiß… Sie werden es noch früh genug verstehen. Haben Sie viel Geld bei sich?«
    »Einiges.«
      »Suchen Sie Ihre Brieftasche. Ich weiß nicht, in welcher Tasche Sie die gewöhnlich tragen, aber ich wette tausend zu eins, daß sie da nicht mehr

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