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Der Mann, der den Zügen nachsah

Der Mann, der den Zügen nachsah

Titel: Der Mann, der den Zügen nachsah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Vorbeigehen streifte, noch daß er vor sich hin sprach…
      Falschspiel! Das war das einzige klare Faktum! Man ging hinterlistig gegen ihn vor! Man trieb ein falsches Spiel mit ihm, weil er zu stark war, weil man ihn auf andere, ehrliche Weise nicht kriegen konnte.
      Kommissar Lucas, der nicht einmal ein Bild von sich in den Zeitungen riskierte, war der oberste Falschspieler und schämte sich nicht, miese Pokertricks anzuwenden, indem er glauben machte, er sei in Lyon und wüßte nichts von den Autodieben.
      Auch Louis bluffte und machte sein Geschäft mit der Polizei. Jeanne Rozier ebenfalls…
      Von ihr hätte Popinga das nicht erwartet. Wenn das Verhalten der anderen nur seinen Abscheu und seinen gerechten Zorn hervorrief, so schmerzte ihn das bei ihr, weil er immer an etwas Gemeinsames zwischen ihnen beiden geglaubt hatte.
      Der Beweis dafür war, daß er sie nicht umgebracht hatte! Jetzt spielte das Schicksal auch noch mit und schickte ihm diesen miesen Amerikaner, der nichts weiter konnte, als seinem Kumpanen in die Tasche greifen…
      Und der mit seinem Rasierapparat zu sechzehn Francs nichts anzufangen wüßte!
    Es war zu idiotisch, ja!
    Einfach ekelhaft…

    11

    Wie Kees Popinga erfährt, daß es
    etwa siebzig Francs kostet, sich als
    Clochard zu verkleiden, und wie er
    das Adamskostüm vorzieht

    Vielleicht war es anstrengender, nur nachzudenken als durch Paris zu marschieren. Dies um so mehr, als Popinga beschlossen hatte, es mit allem Ernst zu tun, den Dingen auf den Grund zu gehen, sie sich von A bis Z vorzunehmen und alles, was Popinga unmittelbar oder von ferne betraf, zu überprüfen.
      Und hatten ein nichtswürdiger Kommissar Lucas und ein hergelaufener Louis nicht beschlossen, ihn nicht mehr zu ruhigem Nachdenken kommen zu lassen, und hatte ein munterer Taschendieb ihn nicht all seiner Habe und sogar der Möglichkeit beraubt, irgendwo niederzusitzen?
      Denn sich in Paris irgendwo hinzusetzen, kostet Geld! Um nachdenken zu können, sah Kees sich genötigt, gegen fünf Uhr in eine Kirche zu gehen, wo eine Menge Kerzen zu Füßen eines Heiligen brannten, den er nicht kannte. Das war nicht so wichtig. Doch das Schlimmste war, daß er mitten in seinen Gedanken unterbrochen wurde, wenn jemand ihn im Vorbeigehen ansah, so daß Kees erschrak und schon die Flucht ergreifen wollte, sich dann wieder faßte und entsetzliche Mühe hatte, seinen Gedankengang wieder aufzunehmen.
    Oder auch, daß ein völlig unbedeutender Gedanke alles zudeckte, sich völlig sinnlos vordrängte und ihn von seiner Hauptidee ablenkte.
      Seine stundenlangen Fußmärsche durch Paris gingen keinen Menschen etwas an, und er hatte um so weniger das Bedürfnis, deshalb bedauert zu werden, als er sich selbst nicht darüber beklagte. Aber Tatsache war, daß er nicht mehr das Recht hatte, in seinem Umherwandern innezuhalten! Mit seinen zwanzig Francs konnte er sich kein Hotel mehr leisten. Und was die Bistros betraf, die bis in die Nacht geöffnet waren, so konnte man an diesen Orten ziemlich sicher sein, bald geschnappt zu werden.
      Wenn er sich noch in Lumpen hätte kleiden können! Und sich unter irgendeinem Brückenpfeiler verkriechen; aber ein Clochard in so eleganter Kleidung wie seiner hätte Verdacht geweckt.
      So wanderte er wieder! Einem, der so geht, als ob er ein Ziel hat, mißtraut man nicht. Nur, er ging nirgendwohin, und nur von Zeit zu Zeit, wenn er sicher war, in einer Straße allein zu sein, machte er auf einer Türschwelle halt.
      Wie weit war er mit seinen Gedanken? Und schon kam ein neuer Gedanke, der ihn wieder ablenkte – ein Gedanke oder auch nur ein Gefühl.
    Das war ganz ähnlich wie bei der Geburt von Frida!
      Wieso? Es wäre schwer gewesen, das zu erklären. Er ging an der Seine entlang, sehr weit, vielleicht schon über Paris hinaus. Da standen längs des Ufers gewaltige Fabriken, deren Fenster alle erleuchtet waren und deren Schornsteine einen Feuerschein in den Himmel sandten.
    Es regnete, ein Regen, der schräg herunterkam. Vielleicht war es das, denn bei der Geburt seiner Tochter hatte es auch geregnet. Das war im Sommer, aber der Regen damals bildete die gleiche Schraffur. Und es mußte etwa um die gleiche Stunde sein. Oder nein, da es damals Sommer war und die Sonne früher aufging. Doch das war unwichtig! Jedenfalls war noch nicht heller Tag, und Popinga ging im Regen, barhäuptig, die Hände in den Taschen, vor dem Gebäude auf und ab und blickte zu den Fenstern im

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