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Der Mann, der den Zügen nachsah

Der Mann, der den Zügen nachsah

Titel: Der Mann, der den Zügen nachsah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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ersten Stock empor. In dem Arbeiterviertel jenseits der Brücke wurde es in weiteren Fenstern hell, und er stellte sich unausgeschlafene Menschen vor, die sich wuschen…
      Was konnte ihn das eigentlich kümmern? Er hatte einen wichtigen Entschluß zu fassen und ließ sich durch diese Dinge ablenken, blieb sogar stehen, um den Fluß zu betrachten, der sich hier zu teilen schien, und einen Kanal, der hier begann.
      Dann wurde das Flußufer wieder öde, und dann kamen hohe Mietskasernen, in deren Fenstern es hie und da hell wurde, und ein Bistro, wo der Wirt gerade fröstelnd die Kaffeemaschine in Betrieb setzte.
      Er zuckte die Achseln. Es war immer das gleiche! Er konnte ganz einfach hineingehen, harmlos an die Theke treten, den Mann umbringen, wenn er den Rücken kehrte, und sich mit der Kasse davonmachen.
    Aber für so etwas mußte man nicht Kees Popinga sein.
      Nein! Es lohnte sich nicht, an so etwas zu denken. Er hatte es den ganzen Nachmittag eins ums andere erwogen, hatte alles überlegt, was er tun könnte, und jetzt war das wie eine Schiefertafel, die mit dem nassen Schwamm ausgewischt ist.
      Es war zu spät. Im Grunde war er immer zu spät gekommen, weil er schlecht angefangen hatte!
    Er war intelligenter als Landru und als all die anderen, über deren Missetaten man schöne Worte machte, aber die anderen hatten sich auf so etwas vorbereitet, hatten konsequent ihre Entschlüsse gefaßt, wozu auch er fähig gewesen wäre, wenn er nur gewollt hätte.
      Auch war das nicht sein Fehler… Wenn Pamela nur nicht so hysterisch gelacht hätte… Abgesehen davon war er überzeugt, nie unbesonnen gehandelt zu haben, und das würde man eines Tages anerkennen müssen.
      Männer in Gruppen kamen vorbei und gingen weiter in Richtung der Fabrik, und Popinga mußte sich in acht nehmen, um nicht aufzufallen, denn jetzt hatte er nicht mehr das Recht, sich fangen zu lassen.
      Er hatte eine Arbeit zu vollbringen… Danach würde alles schnell gehen… Aber bis dahin mußte er standhaft bleiben und durfte sich um keinen Preis verraten.
      Nun ist es aber für einen Menschen, der zehn Stunden und länger im Regen gegangen ist, schwierig, kein Aufsehen zu erregen.
      Es war besser, immer so weiter zu gehen, durch Ivry hindurch, dann durch Alfortville. Es war noch nicht hell und der Morgen graute erst, als er sich auf einer Art von freiem Feld befand, am Seine-Ufer, wo auch Schiffe anlegen konnten.
      Das Wasser war gelb, und in der raschen Strömung trieben Äste und allerlei Plunder vorbei. Hundert Meter weiter stand ein niedriges Haus, das im Erdgeschoß schon erleuchtet war, und Popinga las auf einem Schild: Zum lachenden Karpfen. Er verstand nicht sogleich. Erst nach einigem Nachdenken begriff er und zuckte die Achseln. Es war dermaßen albern, einen Karpfen als lachend zu bezeichnen, wo es sich doch um einen Fisch mit einem nur ganz kleinen Maul handelte!
      Das Haus war von Lauben umgeben oder vielmehr von Eisengerüsten, die im Sommer zu Lauben werden sollten, und ein halbes Dutzend Barken waren aufs Ufer hinaufgezogen.
    Popinga ging erst einmal mit harmloser Miene vorbei,
    um die Sache zu erkunden, blickte in ein ziemlich großes Café, wo eine brave Frau im Ofen herumstocherte, während ein Mann, offenbar der Wirt, an einem Tisch mit braunem Wachstuch frühstückte. Kurz entschlossen setzte er eine joviale Miene auf und sagte beim Eintreten:
    »Ein Sauwetter, nicht wahr?«
      Die Frau zuckte zusammen, und es war klar, daß sie Angst hatte, daß sie mit der Möglichkeit eines Überfalls gerechnet hatte. Und sie beobachtete ihn weiter mißtrauisch, während er in der Nähe des Ofens Platz nahm und sagte:
    »Kann man vielleicht eine Tasse Kaffee bekommen?«
    »Natürlich kann man das!«
      Auf einem Stuhl lag eine Katze zur Kugel zusammengerollt.
      »Und könnte ich auch etwas Brot und Butter bekommen?«
      Diese Leute wußten nicht, mit wem sie es zu tun hatten, und ahnten ebensowenig, daß am folgenden Tag…
      Er aß, und dennoch hatte er keinen Hunger. Dann, als es plötzlich Tag und das elektrische Licht ausgeschaltet wurde, fragte er, ob er etwas zum Schreiben bekommen könnte.
      Und dann saß er vor einem Bogen billigen karierten Papiers mit Rechenkästchen, wie man es in Dörfern in den Gemischtwarenläden bekommt, und begann nach einem Blick durchs Fenster auf den unwirtlichen Fluß zu schreiben:

    Sehr geehrter Herr Chefredakteur, wie in Ihrer Zeitung gestern gemeldet

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