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Der Mann, der den Zügen nachsah

Der Mann, der den Zügen nachsah

Titel: Der Mann, der den Zügen nachsah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Minuten später gingen die beiden Männer durch die großen Boulevards, und ein Straßenhändler, der sie reden hörte, bot ihnen Ansichtspostkarten an.
    »Was ist das?« fragte der Yankee.
    Und Kees, errötend:
    »Ach, nichts. Das sind so Sachen für die Fremden…«
    »Wohnen Sie schon lange in Paris?«
    »Ziemlich lange, ja.«
      »Ich werde nur acht Tage bleiben, dann fahre ich nach Italien und dann zurück nach New Orleans. Kennen Sie es?«
    »Nein.«
      Leute wandten sich nach ihnen um. Sie waren die typischen Fremden, die voller Zuversicht die großen Boulevards entlanglaufen und dabei laut reden, als wenn kein Mensch sie verstehen könnte.
    »Das ist die Straße«, sagte Popinga.
      Er war klug genug, um zu wissen, daß er nichts Kompromittierendes zu diesem Mann sagen durfte. Wenn der etwa zur Polizei gehörte oder zu der Bande von Louis, sollte er sich vergebens Mühe gemacht haben.
    Er stieß die Tür zu der Bar auf, die er nicht kannte, und war von der luxuriösen Aufmachung und der Atmosphäre beeindruckt.
      Das war etwas Neues für ihn. Man war gleichsam nicht mehr in Frankreich, sondern in den Vereinigten Staaten. Rings um eine hohe Bar aus Mahagoni standen große, wohlgenährte Männer, die laut redeten, rauchten und tranken, während die beiden Barkeeper, der eine ein Chinese, voller Eifer die Whiskys und die großen Biere servierten, und auf den Spiegelscheiben waren eine Menge Inschriften mit Kreide.
    »Einen Whisky, nicht wahr?«
    »Bitte!«
      Popinga fühlte sich völlig verwandelt nach den Brasserien der letzten Tage, deren Einrichtung er nur zu gut kannte, die vernickelte Kugel auf dem gußeisernen Fuß für die Abfälle, das kleine Bord mit den Telefonbüchern, die Kassiererin auf dem hochbeinigen Stuhl, die Kellner in weißer Schürze…
    Dies hier ließ an anderes denken, an eine weite Seereise,
    an einen Hafen in irgendeinem fernen Land. Kees spitzte die Ohren und stellte fest, daß das Gesprächsthema der meisten Gäste die Pferderennen am Nachmittag waren, wobei ein besonders Dicker mit mehreren Doppelkinnen und einem braunkarierten Mantel, wie auf den Karikaturen, die Wetten entgegennahm.
      »Sind Sie auch im Handel tätig?« fragte sein neuer Freund.
    »Ja, mit Agrarprodukten…«
      Er sagte das, weil er sich mit Agrarprodukten etwas auskannte, denn die bildeten einen Teil der Geschäfte des Hauses de Coster.
    »Ich… Ich bin im Lederhandel. Mögen Sie ein Würstchen? Ja, Sie müssen unbedingt ein Würstchen essen! Ich bin sicher, daß sie hervorragend sind. Wir befinden uns hier in Amerika, und Amerika ist darin ganz groß…«
      Neue Gäste kamen, andere gingen. Dichte Rauchschwaden umgaben die Bar, und die Wände schmückten Fotos von amerikanischen Sportkanonen, die meisten mit Widmung an den Wirt.
      »Wirklich angenehm hier, oder nicht? Der Freund, der mir die Adresse gegeben hat, sagte, dies sei das sympathischste Fleckchen von ganz Paris. Noch zwei Whiskies bitte!«
    Dann, ohne Übergang, mit einem anzüglichen Lächeln:
      »Ist es wahr, daß die Französinnen so nett mit den Fremden sind? Ich hatte noch keine Zeit, mir das lustige Montmartre anzusehen. Offen gestanden, ich habe ein wenig Angst…«
    »Angst wovor?«
      »Bei uns erzählt man sich, daß es hier viele Ganoven gibt, die sehr viel raffinierter vorgehen als unsere Gangster, und daß die Fremden in Paris immer in Gefahr sind, bestohlen zu werden! Ist Ihnen das auch schon passiert?«
      »Niemals. Und ich bin doch schon oft auf dem Montmartre gewesen.«
    »Hatten Sie Frauenbekanntschaften?«
    »Ja.«
      »Und hatten die nicht einen Komplizen in ihrem Zimmer versteckt?«
    Popinga vergaß für einen Augenblick die Hinterhältigkeiten von Kommissar Lucas. Hier war er der Alteingesessene, der Bescheid weiß und einem Neuankömmling gute Ratschläge gibt. Je mehr er seinen Gefährten betrachtete, desto naiver kam er ihm vor, noch naiver sogar als ein Holländer.
      »Deren Freunde sind nicht im Zimmer versteckt, sondern warten draußen.«
    »Wozu das?«
      »Nur so. Um zu warten. Da brauchen Sie keine Angst zu haben!«
    »Haben Sie einen Revolver bei sich?«
    »Nie!«
      »Wenn ich in New York in Geschäften unterwegs war, trug ich immer einen Revolver bei mir…«
    »Aber hier sind wir in Paris!«
      Die Würstchen waren gut. Popinga leerte sein Glas, und schon war es wieder gefüllt.
    »Sind Sie in einem guten Hotel abgestiegen?«
    »Einem sehr guten.«
      »Ich«, sagte der

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