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Der Mann, der die Frauen belog - Roman

Titel: Der Mann, der die Frauen belog - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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wovor hatte er eigentlich Angst? Es war doch nur eine Illusion, die er mit Hilfe von Kindheitserinnerungen geschaffen hatte. Auch Malachais Wahn war, wenn man so wollte, eine besondere Begabung, und besondere Begabungen fielen nun mal in sein Fach. Auch eine praktische Anwendung für den Wahn des alten Magiers hatte er schon gefunden. Falls es ihm gelang, sich eine lebensechte Amanda zu schaffen, konnte sie ihm vielleicht etwas sagen, was Mallory bei ihren Ermittlungen weiterhalf. Wenn Mallory keine Angst vor Kugeln hatte, brauchte er auch keine Angst vor Amanda zu haben. Und – war man denn schon verrückt, wenn man ein harmloses Gespräch mit einer Phantasiegestalt führte?
    In der Erinnerung war er wieder ein Kind und wartete auf den Beginn der Vorstellung. Der Stab des Dirigenten hob sich, im Saal wurde es totenstill. Die Musik rauschte auf, strömte dahin, wurde leiser … schon drohte das große schwarze Loch.
    In dieser magischen Leere, die die Zuhörer mit Phantomtönen zu füllen pflegten, weil sie die Stille nicht ertrugen, hörte er das leise Klagen einer Frau. Und jetzt kam sie auf ihn zu und trat ins Licht.
    Sie trug die Sachen, in denen sie gestorben war – Blazer, Jeans, Laufschuhe. Sein Gedächtnis lieferte getreulich sämtliche Einzelheiten – bis hin zu dem Blutflecken auf dem Blazerstoff und dem rot verklebten blonden Schläfenhaar.
    Wie fing Malachai immer an? Ja, richtig … Es war ganz einfach.
    »Guten Abend, Amanda.«
    Sie lächelte schüchtern und setzte sich in den Sessel ihm gegenüber.
    Erleichtert sah er, dass das von ihm geschaffene Wesen nicht genug Substanz hatte, um eine Delle in das Polster zu drücken. Sie stützte die Hände auf die Sessellehnen. Er sah zur Wand hinüber. Sie warf keinen Schatten. Auch das registrierte er mit Erleichterung.
    »Guten Abend, Charles.«
    »Als ich dich heute Vormittag neben dem kleinen Jungen stehen sah, Amanda –«
    »Er hatte Kummer.« Die zarten weißen Hände waren im Schoß gefaltet. »Das tat mir weh.«
    »Du wolltest ihn nur trösten.«
    »Ja. Der Kleine tat mir leid, weil er so verstört war. Ich liebe Kinder.«
    »Ich weiß. Deshalb verstehe ich auch nicht, dass du dein Kind nicht mehr hast haben wollen.«
    Sie sah zu Boden, und weil sie dort keine Antwort auf seine Frage fand, hob sie wieder den Kopf, und in ihren Augen standen Tränen. Können gedachte Wesen weinen? Hilflos hob sie die Hände.
    »Du hattest dir das Kind so sehr gewünscht …«
    »Ja. Ich hatte mein Leben um dieses Kind herum geplant. Es bedeutete mir alles.«
    »Warum hast du es dann getan? Schneiden Sie es raus, hast du zu dem Arzt gesagt. Was war so fürchterlich an dem Mann, dass du sein Kind nicht zur Welt bringen wolltest?«
    Sie stand auf und zog sich mit müden, schleppenden Schritten in die Dunkelheit zurück. Es war hart gewesen, das so heiß ersehnte Kind herzugeben. Das Kind, das ihr Leben, ihre Zukunft hätte sein sollen. Zu hart für sie.

5
    24. Dezember
    A ngel Kiplings Glitzerblick überflog die Zeilen, die über den Bildschirm rollten und neue Lügen brachten, und sie überlegte, wie viel sie dafür würde zahlen müssen. Womöglich musste sie diesmal, um ihren Namen aus der Presse herauszuhalten, nicht nur Geld, viel Geld, sondern auch einen Ehemann opfern.
    Bei jedem Kuss, den er ihr auf die Wange gab, fuhr sie unwillkürlich zurück, weil sie sich automatisch fragte, wo er wohl gewesen war, was er wohl angestellt hatte. Seine Lügen bohrten in ihr, und sie gab keine Ruhe, bis jede einzelne aufgedeckt war.
    Die Morgensonne schien auf den Bildschirm, so dass ein paar Zeilen schlecht zu lesen waren, aber das machte nichts, denn die Worte wiederholten sich endlos.
    »Nicht ausrasten«, redete sie sich zu. »Du rastest immer viel zu schnell aus.« Wahrscheinlich ein Erpressungsversuch. Sonst hätten die Medien längst alles breitgetreten. Vorläufig ist also noch keine Gefahr im Verzug. Wir warten auf konkrete Forderungen. Sie nickte ihrem Spiegelbild zu, das sie vom Monitor her ansah. So einfach kann alles sein. Man darf nur nicht die Nerven verlieren …
    Solange er lebte, war er angreifbar. Manchmal wünschte sie, er wäre tot. Dann hätte sie es überstanden, brauchte sich seine Lügen und Ausflüchte und endlosen Entschuldigungen nicht mehr anhören. Er hatte sich sehr lieb entschuldigt, weil er die Eigentumswohnung, die nicht ihm gehörte, als Sicherheit für den Kredit eingesetzt hatte. Er entschuldigte sich unentwegt, bei jedem Räuspern. Er

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