Der Mann, der ins KZ einbrach
Außerdem begann es wie aus Eimern zu schütten.
Ich suchte Schutz in einem kleinen verlassenen Gebäude und wartete, dass der Regen aufhörte. Als es draußen dunkel war, hörte ich Stimmen. Mein Unterstand war umzingelt, und mir wurde befohlen, herauszukommen. Man hatte mich gesehen.
Nervös trat ich in die Finsternis hinaus. Ich konnte nicht sehen, wie viele italienische Soldaten auf mich warteten, aber es spielte auch keine Rolle, sie hatten mich. Ich wurde auf einen Lkw gesetzt und weggeschafft. Die Soldaten machten sich nicht die Mühe, mich zu fesseln, und ich wurde auch nicht geprügelt. Sie brachten mich rasch zum Lager zurück, und ich verbrachte einen Tag und eine Nacht in einer Bestrafungszelle. Dann ging das entsetzliche Einerlei wieder los. Meine Flucht war ein ungeplanter Versuch gewesen, entstanden aus Langeweile. Jetzt war ich wieder am Anfang und musste mich damit abfinden.
Das Leben im Lager wurde von der Ruhr bestimmt – und damit meine ich nicht bloß eine unangenehme Magenverstimmung, sondern eine lebensbedrohliche, erniedrigende Krankheit, die uns alle Kraft entzog und geschwächt, apathisch und voll Schmerzen zurückließ. Wir verloren Gewicht, und wie es unausbleiblich ist, wenn so viele Kranke zusammen sind, waren entwürdigende Vorfälle an der Tagesordnung. Sobald man sich beschmutzt hatte, war es fast unmöglich, sich nur mit dem kalten Wasser, das zur Verfügung stand, vernünftig zu säubern. Ich sah Männer über diese Demütigung weinen – erwachsene Männer mit getrocknetem Durchfall an den Beinen. In diesem Lager starben viele an vermeidbaren Krankheiten und Auszehrung. Einmal lag die Leiche eines Mannes tagelang in einem Schuppen, ehe man ihn begrub. Ich erinnere mich an ihn, weil ich seine Hose erbte. Meine war zerrissen und schmutzig, und der Rest meiner Uniform befand sich in einem beinahe genauso schlimmen Zustand.
Ich war froh, die Hose bekommen zu haben, ob sie nun von einem Toten stammte oder nicht. Es war praktisch, und das zählte. Doch als die Tage vergingen, bekam ich einen üblen Juckreiz, und diesmal war es etwas Schlimmeres als Läuse. Ein fleckiger, pickliger roter Ausschlag erschien an den Innenseiten meiner Oberschenkel. Er breitete sich schnell aus, bis ich ihn in der ganzen Leistengegend und Gott weiß wo noch hatte. Ich war von Krätze befallen: Kleine Milben hatten sich in meine Haut gegraben und ihre Eier gelegt. Wenn ich mich kratzte, brach die Haut auf und blutete, und ich wusste, dass ich mir in all dem Schmutz leicht eine Entzündung holen konnte. Einen Tag voller Schmerzen überstand ich, aber nachts kam es mir vor, als würde meine Haut brennen und sich aufrollen.
Die Ruhranfälle und der ständige Hunger hatten zur Folge, dass ich schrecklich lethargisch wurde und immer mehr abmagerte. Wenn ich zu schnell aufstand, wurde mir schwarz vor Augen, und ich kippte um. Nach einer Weile machte ich das hinter der Baracke absichtlich, damit ich das Bewusstsein verlor. Auf diese Weile verging die Zeit schneller. Wenn ich bewusstlos war, merkte ich eine Zeitlang nichts von dem Hunger, den Läusen und dem quälenden blutigen Ausschlag. Die meisten von uns taten so etwas. Die Folter durch die Krätze dauerte wochenlang, vielleicht sogar Monate. Erst als ein Stück Karbolseife ins Lager kam, mit dem ich mich waschen konnte, bekam ich die Krätze allmählich unter Kontrolle. Mein Körper war in einem entsetzlichen Zustand, aber in meinem Kopf fühlte ich mich nicht als Gefangener. Der Feind hatte mir vieles angetan, aber meinen Geist gebrochen hatte er nicht.
Dieses Jahr in Italien war die Hölle. Viele von uns starben an Krankheit und Entkräftung. Als wir hörten, dass einige von uns verlegt werden sollten, bezweifelte ich, dass es viel schlimmer kommen konnte. Ich war zu schwach, um aus dem Lager zu marschieren. Es waren keine Offiziere bei uns, und es gab keine nennenswerte militärische Disziplin. Das Höchste, was wir zustande brachten, war ein langsames, lustloses Schlurfen zu den Lkw. An einem Seitengleis wurden wir auf Viehwaggons verladen. Früher wäre ich einfach aufgesprungen, aber jetzt bedeutete es einen echten Kampf, nach oben zu kommen. Ein Schild an der Außenseite besagte: Für vierzig Mann oder zehn Pferde. Für alle gab es einen Eimer, von dem ich mich so weit entfernt hielt wie nur möglich. Viele von den Jungs hatten noch immer Ruhr. Ich ließ mich in die Ecke sinken, froh, einen Platz unter dem einzigen Fenster ergattert zu haben, ein
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