Der Mann, der ins KZ einbrach
waren so groß wie Katzen und ernährten sich mit Sicherheit von Menschenfleisch. Man konnte es an ihnen riechen. Vor Stacheldrahtzäunen hatten sie keinen Respekt. Ich schlief auf dem Boden und wachte nachts auf, wenn sie über mich hinweghuschten. Ich spürte ihren Atem in meinem Gesicht. Sie stanken. Vor Jahrhunderten war einer meiner Vorfahren Rattenfänger. Hätte er gesehen, wie Mitte des 20. Jahrhunderts, in einer Zeit der technischen Wunder, Ratten sich von Menschen ernährten – er hätte vermutlich geglaubt, die Zivilisation sei zusammengebrochen. Und er hätte recht gehabt.
Außerdem wurden wir von merkwürdigen Tierchen gestochen, die größer waren als Katzenflöhe. Wir nannten sie Bettwanzen; ich weiß nicht, was sie wirklich waren. Wenn man sie zerdrückte, verspritzten sie das Blut, das sie einem ausgesaugt hatten.
Ich bekam schon bald Ärger. Als ich eines Tages das Lager durchquerte, hielt mich ein deutscher Offizier an und stauchte mich zusammen. Ich hatte ihn nicht gegrüßt. Ich versuchte ihm zu erklären, dass wir in der British Army vor niemandem ohne Schirmmütze salutierten, aber das wollte er nicht hören. Einer der Jungs brüllte mir zu, ich solle die verdammte Ehrenbezeigung machen und nicht mehr daran denken. Widerstrebend tat ich es, und der Deutsche war zufrieden.
Nach einer Weile wurden wir in Gruppen aufgeteilt, und man schickte mich mit den Russen in ein Kohlebergwerk. Ich trat an der Tagöffnung in den Förderkorb und stürzte in die Dunkelheit, während sich der zerbrechliche Korb unter der Belastung knarrend verzog und kurz vor dem Auseinanderbrechen stand. Die bewaffneten Wächter am Boden des Schachtes befahlen uns weiterzugehen, bis wir den Flöz erreichten. Mit den Russen sprachen sie kaum; sie prügelten sie einfach in die gewünschte Richtung. Ich war der einzige Engländer, und mir blieb solche Brutalität erspart. Ich musste von morgens bis abends die Kohle in eine Lore schaufeln. Bei der Arbeit stand ich im Wasser. Es war bitterkalt. Helme oder Schutzkleidung gab es nicht, und den Russen ging es noch schlimmer. Viele gingen barfuß und schlugen am Flöz mit schweren Werkzeugen die Kohle ab. Es war mir nicht erlaubt, mit ihnen zu sprechen.
Ich war drei oder vier Tage dort unten gewesen, als ich einen Wächter brüllen hörte. Seine wütende Stimme übertönte das Scharren der Schaufeln und das Geräusch der Hacken in der Dunkelheit. Sie verprügelten einen Russen. Er hatte sich die nackten Füße mit dünnen Gummistreifen umwickelt, ein improvisierter Schutz vor den spitzen Steinen, über die wir gehen mussten. Ich wusste sofort, dass er sie von einem nicht mehr benutzten Förderband geschnitten hatte, das ich in einem aufgegebenen Seitengang gesehen hatte.
Der Wächter war außer sich und brüllte etwas von Sabotage. Weitere Russen wurden vom Flöz weggezerrt, und zu zehnt stieß man uns gegen die Wand. Dort standen wir dann mit geschwärzten, verschmierten Gesichtern. Niemand bettelte oder jammerte. Dazu war keine Zeit. Einen Befehl hörte ich nicht. Das Schreien verstummte. Die fünf Soldaten hoben die Karabiner, und einer von ihnen schoss ohne zu zögern. Ein ohrenbetäubender Knall hallte durch die kaum beleuchteten Gänge. Während der erste Wächter seinen Karabiner durchlud, feuerte der zweite.
Mir blieben nur Sekunden, um zu reagieren. Ich konnte nirgendwohin fliehen. Wenn ich in dieser gottverlassenen Kohlengrube sterben sollte, wollte ich wenigstens einen von ihnen mitnehmen. Sterben würde ich sowieso. In rascher Folge fielen weitere Schüsse. Dann trat Stille ein. Fünf Kugeln, und fünf Russen lagen tot im Kohleschlamm. Ich war der Achte in der Reihe gewesen.
Ich hatte den Blick auf das Erschießungskommando gerichtet, sodass ich nicht gesehen hatte, wie die Russen zusammenbrachen. Doch in meinen Ohren klingelte es noch, als wir abgeführt wurden. Ich hatte dem Tod zwar schon gegenübergestanden, aber damals hatte ich wenigstens kämpfen können und hatte eine Chance gehabt. Diesmal hatte mein Überleben von der Willkür eines rücksichtlosen Feindes abgehangen. Wie schrecklich hilflos ich doch war, wie ausgeliefert. Ich hatte bei meiner eigenen Rettung keine Rolle gespielt. Was in diesem Höllenloch passiert war, erschütterte mich tiefer als alles, was ich bis dahin erlebt hatte – und wohl auch alles, was nachher kam.
Man führte mich in einen spärlich möblierten Raum. Der Wächter stieß mich brutal zu einem Stuhl, und ein Offizier begann
Weitere Kostenlose Bücher