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Der Mann, der ins KZ einbrach

Der Mann, der ins KZ einbrach

Titel: Der Mann, der ins KZ einbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rob Broomby Denis Avey
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quadratisches Loch von dreißig Zentimetern Länge, über das Stacheldraht gespannt war. Dort kamen Luft und Licht herein, und man sah einen sehr begrenzten Ausschnitt der Welt, die draußen vorüberzog. Außerdem war es die einzige Möglichkeit, den Eimer auszuleeren, der schon bald überzulaufen drohte. Irgendetwas musste unternommen werden.
    Zwei Mann hoben den Behälter an das Fenster, aber einen Eimer voller Exkremente durch ein mit Draht verhauenes Loch auszugießen, das sich über Kopfhöhe befand, konnte nur eine Riesensauerei zur Folge haben. Sehr viel vom Inhalt schlug zurück und lief innen am Waggon herunter, wo ich gesessen hatte. Die beiden Jungs bekamen einiges zu hören. Sämtliche Scheiße von Schanghai, und alles auf meinem Platz.
    Wir hatten den altbekannten Hundekuchen zu essen und einen Behälter mit Wasser für uns alle. Wir wussten nicht, wohin es ging. Als der Zug langsam nach Norden dampfte, kamen wir an längst verlassenen Stränden vorbei. Einmal sah ich ein Schild mit der Aufschrift »Rimini«. Von dem Ort hatte ich vor dem Krieg gehört. Wir fuhren landeinwärts und durchquerten Dörfer, wo die Menschen aus den Häusern kamen und uns winkten. Vielleicht hielten sie uns für italienische Soldaten.
    Ich wusste nicht, dass wir auf der gleichen Strecke fuhren, auf der die italienischen Juden und andere »Feinde des Reiches« nach Norden in die Konzentrationslager gebracht wurden. Unsere Waggons stanken vielleicht und waren verdreckt, aber wir hatten wenigstens genug Platz, um uns hinzulegen. Die Juden wurden viel enger zusammengepfercht und durchquerten ganz Europa, bis sie an einen schrecklichen Zielort gelangten, an dem es keinen Schutz durch die Genfer Konvention gab – nicht, dass sie uns bisher viel genutzt hätte.
    Nach Tagen auf der Schiene wurde die Strecke kurviger, stieg an und führte schließlich über den Brenner. Wir waren in Österreich. Durch den Stacheldraht konnte ich einen ersten Blick auf die Alpen werfen. Ich war von ihrer Erhabenheit tief beeindruckt; gleichzeitig ging mir der Widerspruch nicht aus dem Kopf. In meiner Heimat war es anders. Ihre Schönheit schien mit der Schönheit ihrer Menschheit verbunden zu sein. Sie hatte mich zu dem Mann gemacht, der ich war. Ich fragte mich, wie solche Schrecken in einem Land geschehen konnten, dem so viel natürliche Schönheit geschenkt worden war. Dabei wusste ich nicht einmal die Hälfte.
    Als der Zug hielt, stand »Innsbruck Hauptbahnhof« auf den Schildern. Wir wurden auf ein Nebengleis gebracht und in geschlossene Lastwagen verladen. Jetzt waren Deutsche die Wächter. Nach einer langen Reise durch zumeist offenes Land hielten die Lkw auf einer kleinen Waldlichtung, wo wir uns erleichtern durften. Augenblicklich war ich angespannt wie eine Sprungfeder, denn die deutschen Wächter montierten ein Maschinengewehr auf ein Dreibein. Die Mündung zeigte in unsere Richtung. Ich befürchtete, sie würden uns hier und jetzt niedermähen. Wir waren Kilometer vom nächsten möglichen Zeugen entfernt. Wenn sie zu brüllen anfingen, sollte ich dann weglaufen oder versuchen, die MG -Schützen anzugreifen? Der Augenblick verging. Die Deutschen bauten die Waffe wieder ab, und wir stiegen zurück in die Lastwagen.
    In den nächsten Monaten kam ich durch eine Reihe von Gefangenenlagern. Ich war mir nicht immer sicher, wo ich war, und in der Rückschau ist schwierig zu sagen, in welcher Reihenfolge ich sie durchlief. Nach einer langen Fahrt kamen wir jedenfalls in ein Lager, wo wir in einen Hof gesperrt wurden. Auf der anderen Seite eines Stacheldrahtzauns befanden sich russische Kriegsgefangene.
    Im Laufe der Tage versuchte ich mit ihnen zu sprechen, doch ohne gemeinsame Sprache kamen wir nicht weit. Sie waren in einem entsetzlichen Zustand, versuchten aber, sich nicht unterkriegen zu lassen, und gaben für uns sogar eine Show, indem sie hinter dem Stacheldraht tanzten. Aber sie waren klapperdürr und unterernährt und schafften es kaum. Sie boten einen kläglichen Anblick. In der Luft hing ein scheußlicher Gestank. Es dauerte Tage, bis wir begriffen, dass er von verwesenden Leichen stammte. Die Russen mussten Zwangsarbeit leisten und wurden dabei langsam zu Tode gehungert. Ihre Rationen reichten nicht, um sie am Leben zu erhalten. Wir erfuhren, dass sie in ihrer Verzweiflung die Verstorbenen noch ein paar Tage auf ihren Pritschen liegen ließen, damit sie wenigstens deren Rationen erhielten.
    Den Ratten allerdings ging es prächtig. Sie

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