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Der Mann, der kein Mörder war

Der Mann, der kein Mörder war

Titel: Der Mann, der kein Mörder war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Rosenfeldt
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ging, den richtigen Raum gefunden und die Englischstunde unterbrochen hatte, war bereits eine halbe Stunde vergangen.
    Die Klasse hatte neugierig geflüstert, als Lisa aufgestanden und für Vanjas Begriff demonstrativ langsam auf sie zugegangen war. Ein Mädchen in der ersten Reihe meldete sich, sprach aber fast gleichzeitig ohne jede Erlaubnis ihrer Lehrerin sofort drauflos.
    «Wissen Sie schon, wer es war?»
    Vanja schüttelte den Kopf.
    «Nein, noch nicht.»
    «Ich habe gehört, dass es ein Junge von seiner alten Schule war.»
    «Ja. Leo Lundin», ergänzte ein Junge mit kurzgeschorenen Haaren und zwei großen, falschen Edelsteinen in den Ohren. «Von seiner alten Schule», verdeutlichte er, als Vanja nicht auf den Namen reagierte.
    Eigentlich war die Ermittlerin nicht verwundert. Västerås war eine relativ kleine Stadt, und die Jugendlichen waren ständig online und erreichbar. Natürlich hatten sie sich SMS geschickt und darüber gechattet oder getwittert, dass ein Gleichaltriger verhört worden war. Noch dazu unter ziemlich spektakulären Umständen. Doch Vanja dachte nicht daran, die Gerüchte weiter anzuheizen. Im Gegenteil.
    «Wir sind immer noch dabei, mit allen Zeugen zu sprechen, und wir ermitteln in alle Richtungen», sagte sie, ehe sie Lisa den Vortritt ließ und die Tür des Klassenraums hinter sich schloss.
    Als sie auf den Flur traten, verschränkte Lisa die Arme vor der Brust, warf Vanja einen frechen Blick zu und fragte, was sie wolle. Vanja erklärte wahrheitsgemäß, dass sie einige Angaben überprüfen musste.
    «Dürfen Sie mich überhaupt verhören, ohne dass meine Eltern dabei sind?» Vanja war leicht irritiert, legte aber alles daran, es nicht zu zeigen. Stattdessen lächelte sie Lisa an und sagte so undramatisch, wie sie nur konnte:
    «Ich verhöre dich nicht. Du bist nicht wegen irgendetwas angeklagt. Ich möchte nur ein bisschen reden.»
    «Ich hätte trotzdem gern, dass Mama und Papa dabei sind.»
    «Aber warum? Es dauert nur ein paar Minuten.»
    Lisa zuckte mit den Achseln.
    «Trotzdem.»
    Einen entnervten Seufzer konnte Vanja sich nicht verkneifen, dennoch wusste sie, dass es besser war, das Gespräch nicht gegen den Willen des Mädchens fortzusetzen. Also rief Lisa ihren Vater an, der offenbar in der Nähe arbeitete, und nachdem sie Vanjas Angebot einer Tasse Kaffee oder einer Limo in der Cafeteria dankend abgelehnt hatte, gingen sie zum Eingang, um dort auf ihn zu warten.
    Vanja nutzte die Gelegenheit, Billy und Ursula anzurufen. Im Prinzip sei es ausgeschlossen, dass ein so brutaler Mord auf der Gustavsborgsgatan stattgefunden habe, berichtete Billy. Da es dort eine Hochschule, ein Schwimmbad und einen Sportplatz in der Nähe gab, herrschte ein ziemlich reger Fußgänger- und Autoverkehr. Wo keine Gebäude standen, lagen Parkplätze und Freiflächen. Gewiss war es zu früh, Leo Lundin ganz von der Liste zu streichen, aber sie mussten einen neuen, realistischen Tathergang konstruieren. Die gute Nachricht war, dass Billy auf der Straße Überwachungskameras entdeckt hatte. Im besten Falle gab es die Aufzeichnungen von dem betreffenden Freitagabend noch. Das würde er gleich überprüfen.
    Ursula hatte nicht viel zu berichten, außer, dass das blutige T-Shirt im Labor untersucht wurde. Sie hatte sich die Garage und das Moped – auf dem sich keine Blutspuren befanden – vorgenommen und würde jetzt mit dem Haus weitermachen. Vanja bat sie, sich Leos Zimmer besonders genau anzusehen, und wurde belehrt, dass es unmöglich sei, noch genauer zu arbeiten, als Ursula es ohnehin schon tat.
    Lisa saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt auf dem Fußboden des Korridors und beobachtete Vanja, die mit dem Handy am Ohr auf und ab lief. Nach außen hin wirkte Lisa völlig gelangweilt. Doch in Wirklichkeit überlegte ihr Gehirn fieberhaft, was diese Polizistin sie fragen wollte. Und wie sie antworten sollte. Am Ende entschied sie sich, ganz einfach an ihrer bisherigen Strategie festzuhalten. An Details würde sie sich nicht erinnern.
    Roger kam. Hausaufgaben. Tee. Roger ging.
    Ein ganz gewöhnlicher, etwas langweiliger Freitagabend. Die Frage war, ob das ausreichen würde.
     
     
    Lisas Vater kam nach zwanzig Minuten. Vanja wusste nicht, ob die Erinnerung an den riesigen Perlenjesus oder der Anblick des hellblauen Anzugs der billigsten Warenhauskategorie oder der akkurate Seitenscheitel schuld daran waren, dass sie sofort an die Freikirche denken musste, als der äußerst empörte Mann in den

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