Der Mann, der kein Mörder war
fünfundvierzigjährigen Mann aus dem offenen Gartentor kommen und auf sie zulaufen. Er hielt eine blaue Stoffrolle unter dem Arm. Ein Zelt. Mit hastigen Schritten kam er näher.
«Mein Name ist Vanja Lithner, und das ist Sebastian Bergman.» Vanja hielt ihren Dienstausweis hoch. Sebastian hob seine Hand zum Gruß. «Wir sind von der Reichsmordkommission und ermitteln im Mordfall Roger Eriksson. Wir haben in der Schule bereits mit Beatrice gesprochen.»
«Oh, entschuldigen Sie bitte. Ich dachte, Sie wären Journalisten. Ich musste heute schon mehrere von denen vom Grundstück jagen. Ulf Strand, Johans Vater.»
Er streckte ihnen die Hand entgegen. Sebastian fiel auf, dass Johans Vater nun schon der Zweite war, der sich auf diese Weise vorstellte. Als Elternteil. «Ulf, Johans Vater», nicht etwa «Ulf, Beatrices Mann». Und Beatrice hatte genauso von Ulf gesprochen. Als Vater ihres Sohnes, nicht als ihrem Mann.
«Sind Sie gar nicht verheiratet, Beatrice und Sie?»
Ulf wirkte ernsthaft verwundert über die Frage.
«Doch, warum fragen Sie?»
«Aus reiner Neugier. Ich hatte das Gefühl, dass … ach, es spielt keine Rolle. Ist Johan zu Hause?»
Ulf warf einen Blick aufs Haus und runzelte die Stirn.
«Ja, aber muss es unbedingt heute sein? Er ist furchtbar mitgenommen von alldem, was passiert ist. Deshalb wollen wir zelten fahren. Mal eine Weile hier raus.»
«Es tut mir leid, aber wir sind bei dieser Ermittlung aus verschiedenen Gründen in Verzug, wir müssen so schnell wie möglich mit Johan sprechen.»
Ulf begriff, dass er dem nicht viel entgegensetzen konnte, zuckte mit den Schultern, legte seine Campingausrüstung ab und führte sie zum Haus.
Sie zogen im Flur die Schuhe aus, wo bereits eine Reihe von Schuhen stand, Sneakers und Pantoffeln, kreuz und quer durcheinander. Wollmäuse auf dem Boden. Mindestens drei verschiedene Jacken lagen achtlos hingeworfen auf einer schwarzen Holzbank, die an einer Wand des Flurs stand. Als sie weiter ins Haus hineingingen, hatte Vanja das Gefühl, dass sie es hier mit dem absoluten Gegenteil des gepflegten Heims der Familie Hansson zu tun hatten. Im Wohnzimmer stand in einer Ecke ein Bügelbrett, darauf lag Wäsche, aber auch ein Teil der Post, eine Tageszeitung und eine Kaffeetasse. Auf der vollgekrümelten und fleckigen Tischplatte vor dem Fernseher standen ebenfalls zwei Tassen. Weitere Kleiderhaufen, ob sauber oder schmutzig, war unmöglich auszumachen, lagen über den Sesseln und der Sofalehne verteilt. Sie gingen ins Obergeschoss. Dort saß ein schmächtiger Junge mit Brille, der jünger aussah als sechzehn, in seinem Zimmer und war mit Computerspielen beschäftigt.
«Johan, die beiden sind von der Polizei und würden gern ein bisschen mit dir über Roger reden.»
«Gleich.»
Johan konzentrierte sich weiter auf den Bildschirm. Offenbar handelte es sich um ein Actionspiel. Ein Mann mit einem extrem verwachsenen und missgebildeten Arm sprang durch die Gegend und kämpfte gegen etwas, anscheinend Soldaten. Seinen Arm verwendete er dabei als Waffe. Billy würde vermutlich wissen, wie das Spiel hieß. Die Gestalt kletterte in einen Panzer, der an einer Straßenecke stand, und der Bildschirm erstarrte unter dem Hinweis «Loading». Als das Bild wieder aufflackerte, befand man sich offenbar in dem Panzer und konnte ihn lenken. Johan drückte auf eine Taste. Das Bild stoppte. Er wandte sich zu ihnen um. Sein Blick war müde.
«Mein Beileid. Wir wissen, dass du eng mit Roger befreundet warst», sagte Vanja.
Johan nickte.
«Daher wäre es denkbar, dass Roger dir Sachen erzählt hat, die er sonst niemandem erzählte.»
«Was denn zum Beispiel?»
Nichts Neues, wie sich herausstellte. Johan glaubte nicht, dass Roger Sorgen gehabt hatte. Auch nicht, dass er unmittelbar Angst vor jemandem hatte, obwohl er ab und zu einigen der Jungs von der Vikinga-Schule begegnet war. Er hatte sich auf der Palmlövska wohlgefühlt, niemandem Geld geschuldet und sich auch nicht für die Freundinnen anderer interessiert. Er hatte ja selbst eine gehabt. Johan hatte geglaubt, dass Roger an jenem Freitagabend bei ihr gewesen wäre. Er war ja häufig bei Lisa gewesen. Zu häufig, fand Johan wohl, vermuteten Sebastian und Vanja. Und nein, er wusste auch nicht, wen Roger hätte treffen wollen, wenn er nicht bei Lisa war. Er wusste auch nicht, warum Roger an jenem Abend bei ihm zu Hause angerufen hatte. Danach hatte er jedenfalls nicht auf Johans Handy angerufen. Viele Neins.
Vanja war am
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