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Der Mann, der kein Mörder war

Der Mann, der kein Mörder war

Titel: Der Mann, der kein Mörder war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hjorth , Rosenfeldt
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Tochter hat sie angelogen!»
    Was zum Teufel tut er da?
Schockiert drehte Vanja sich um und starrte Sebastian mit finsterer Miene an. Dass sich Sebastian seinen Kollegen und anderen Erwachsenen gegenüber wie ein Schwein verhielt, war eine Sache, aber ein Kind auf diese Weise auszuliefern? Vollkommen unnötig! Lisa sah aus, als würde sie am liebsten im Erdboden versinken. Ihr Vater war verstummt. Alle sahen nur noch den Mann an, der mit einem Mal das Zentrum der Küche ausmachte.
    Dies war einer der Momente, die Sebastian Bergman während seiner selbstgewählten Berufsabstinenz am meisten vermisst hatte. Er nahm sich reichlich Zeit. Kostete die Magie des Augenblicks aus. Dazu hatte er ja nicht mehr so häufig Gelegenheit.
    «Roger ist an besagtem Freitag viel früher gegangen, als Lisa zunächst zugeben wollte.»
    Die Eltern blickten sich an. Schließlich brach die Mutter das Schweigen.
    «Unsere Tochter lügt nicht.»
    Sebastian trat einen Schritt auf die Eltern zu.
    «Doch, das tut sie.» Er hatte nicht vor, die wahren Verlogenen glimpflich entkommen zu lassen. «Allerdings sollten Sie sich die Frage stellen, warum sie das tut. Vielleicht gibt es ja einen Grund dafür, dass sie es nicht wagt, Ihnen die Wahrheit zu erzählen?»
    Sebastian schwieg und fixierte die Eltern. In der Küche hing die Angst vor der Fortsetzung. Seiner Fortsetzung. Vanjas Gehirn lief auf Hochtouren. Wie sollte sie in diesem Morast, in den sie nun geraten war, je wieder festen Boden unter den Füßen gewinnen? Das Einzige, was sie hervorbrachte, war ein schwaches Flehen.
    «Sebastian …»
    Doch es drang nicht bis zu Sebastian vor. Er beherrschte den Raum und hielt das Leben eines sechzehnjährigen Mädchens in seinen Händen. Warum sollte er auf jemanden hören?
    «Lisa und Roger stritten sich an diesem Abend. Er ging schon gegen acht. Sie stritten sich, und anschließend starb er, was glauben Sie, wie das für sie sein muss? Wenn sie sich nicht gestritten hätten, wäre er wohl noch am Leben. Es war ihre Schuld, dass er früher ging. Eine solche Schuld lastet enorm auf einem jungen Mädchen.»
    «Stimmt das, Lisa?» Die Stimme der Mutter klang flehend, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Lisa sah ihre Eltern an, als wäre sie gerade aus einem Traum erwacht und wüsste nicht mehr, was richtig und was falsch war. Sebastian zwinkerte ihr diskret zu. Er gefiel sich in seiner Rolle.
    «Das, was Lisa getan hat, kann man eigentlich nicht als Lüge bezeichnen. Es ist eher ein Verteidigungsmechanismus, um weiterleben zu können. Um mit der Schuld klarzukommen. Deshalb erzähle ich Ihnen das», fuhr Sebastian mit strengem Blick fort. Dann senkte er seine Stimme etwas, um den Ernst der Lage zu betonen. «Lisa muss jetzt erfahren, dass sie nichts falsch gemacht hat.»
    «Aber natürlich hast du das nicht, mein Herzchen.» Diesmal sprach Vater Ulf. Er war auf seine Tochter zugegangen und legte den Arm um sie. Lisa wirkte von allen am meisten verwundert. Der Wechsel von ihrer möglichen Enttarnung hin zu Liebe und Fürsorge hatte sich so schnell vollzogen.
    «Aber meine arme Kleine, warum hast du uns denn nichts gesagt?», fragte die Mutter schwach, wurde aber erneut von Sebastian unterbrochen.
    «Weil sie Sie nicht enttäuschen wollte. Begreifen Sie das denn nicht? Sie fühlt eine enorme Schuld. Schuld und Trauer. Und Sie reden die ganze Zeit nur von lügen oder nicht lügen. Verstehen Sie nicht, wie sehr Sie Lisa damit in die Einsamkeit gedrängt haben?»
    «Aber wir wussten doch nicht … wir glaubten …»
    «Sie haben an das geglaubt, was Ihnen in den Kram passte. An nichts anderes. Das ist nur verständlich. Das ist menschlich. Aber Ihre Tochter braucht jetzt Liebe und Fürsorge, sie muss spüren, dass Sie ihr vertrauen.»
    «Aber das tun wir doch.»
    «Nicht genug. Geben Sie ihr Liebe, aber auch Freiheit. Genau das braucht sie jetzt. Viel Vertrauen und Freiheit.»
    «Aber natürlich. Danke. Wir wussten doch nicht. Bitte entschuldigen Sie, dass wir aufbrausend waren, aber ich hoffe, Sie können verstehen …», versuchte die Mutter sich zu verteidigen.
    «Aber natürlich. Wir alle wollen unsere Kinder schützen. Vor allem. Das liegt in der Natur von Eltern.»
    Sebastian strahlte die Mutter mit seinem wärmsten Lächeln an. Sie beantwortete es dankbar mit einem leichten Nicken. Zu wahr, zu wahr.
    Sebastian richtete sich an Vanja, deren Zorn inzwischen Verwirrung gewichen war.
    «Fahren wir?»
    Vanja versuchte, so natürlich zu nicken, wie

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