Der Mann, der kein Mörder war
hätte, dann hätte er eine andere Waffe verwendet. Eine, die keine Rückschlüsse auf den Täter zulässt.»
Sebastian nickte zustimmend. Sie war eine schnelle Denkerin.
«Was ist also genau passiert?», fragte Torkel. «Roger war in einem ziemlich belebten Teil von Västerås unterwegs, traf jemanden mit einer Waffe vom Kaliber .22, ging an ihm vorbei und wurde in den Rücken getroffen. Der Schütze denkt, oh nein, die Kugel wird mich verraten, und beschließt, sie zurückzuholen und noch dazu nach Listakärr zu fahren, um die Leiche dort zu versenken.» Torkel betrachtete die anderen, die seinem Gedankengang stumm gefolgt waren. «Klingt das in euren Ohren wahrscheinlich?»
«Wir wissen nicht, was passiert ist.» Sebastian blickte den Chef müde und leicht entnervt an. Er hatte doch nur ein Puzzleteil geliefert, nicht das gesamte Puzzle gelegt.
«Wir wissen nicht einmal, wo er starb. Ich sagte lediglich, dass sein Tod vermutlich nicht geplant war.»
«Also besteht die Möglichkeit, dass hier nicht ein Mord, sondern ein Tötungsdelikt vorliegt, aber es bringt uns nicht einen Schritt weiter in der Frage, wer den Jungen getötet hat, verstehe ich das richtig?»
Schweigen. Sebastian wusste aus Erfahrung, dass es keinen Sinn machte zu antworten, wenn Torkel auf diese Weise nölte. Offenbar wussten das auch die anderen. Torkel wandte sich Ursula zu.
«Diese Kerbe an der Rippe, könnte man die einer bestimmten Kugel zuordnen, wenn wir die Waffe finden?»
«Nein. Leider nicht.»
Torkel sackte resigniert auf seinem Stuhl zusammen.
«Also haben wir eine neue Todesursache, aber das ist auch alles.»
«Das stimmt nicht.» Sebastian zeigte auf eine der anderen Fotografien an der Wand. «Wir haben die Uhr.»
«Und was soll damit sein?»
«Sie war teuer.»
Er deutete noch immer auf die Hochglanzbilder, die Rogers Kleidung zeigten.
«Acne-Jeans. Eine Dieseljacke. Nike-Sneakers. Alles Markenklamotten.»
«Er war halt ein Teenager.»
«Ja, aber wo hatte er das Geld her? Seine Mutter scheint ja nicht besonders betucht zu sein. Immerhin war er das Wohltätigkeitsexperiment der Palmlövska-Schule.»
Lena Eriksson saß in ihrem Sessel im Wohnzimmer und klopfte die Asche ihrer Zigarette in den Aschenbecher auf der Armlehne. Am Morgen hatte sie ein neues Päckchen angebrochen und vor einer knappen Stunde das zweite. Dies war die dritte Zigarette des zweiten Päckchens, die dreiundzwanzigste des Tages also. Das waren zu viele. Insbesondere, wenn man den ganzen Tag nichts gegessen hatte. Sie spürte einen leichten Schwindel, als sie sich räusperte und die Polizisten anblickte, die auf dem Sofa auf der anderen Seite des eckigen Couchtisches saßen. Es waren zwei andere. Drei, wenn man die Frau mitzählte, die sich in Rogers Zimmer aufhielt. Die Frau, die Lena in der Pathologie getroffen hatte, war nicht dabei. Überhaupt war keiner von denen gekommen, die bislang mit ihr gesprochen hatten. Die neuen Polizisten waren in Zivil gekleidet und kamen von einer Einheit namens Reichsmordkommission. Sie fragten, wo Roger sein Geld hergehabt habe.
«Er bekam die staatliche Studienbeihilfe, weil er über sechzehn war.»
Sie zog erneut an ihrer Zigarette. Diese Bewegung war so vertraut, so alltäglich, beinahe reflexhaft. Was hatte sie heute eigentlich anderes getan als im Sessel zu sitzen und zu rauchen? Nichts. Mehr Energie konnte sie nicht aufbringen. Am Morgen war sie nach einigen Stunden Schlaf aufgewacht und hatte geplant, eine Runde spazieren zu gehen. Ein bisschen frische Luft zu schnappen. Etwas zu essen zu kaufen. Vielleicht ein wenig die Wohnung zu putzen. Einen ersten Schritt zu machen, um wieder zu irgendeiner Form von Alltag zurückzukehren. Ohne Roger.
Sie war auf jeden Fall dazu gezwungen, sich aufzuraffen und das
Aftonbladet
zu kaufen. Fünfzehntausend Kronen in bar hatte die Zeitung ihr dafür gezahlt, dass sie knapp zwei Stunden mit einer jungen Journalistin gesprochen hatte. In der ersten halben Stunde war ein Fotograf dabei gewesen, der dann jedoch wieder gegangen war. Die junge Frau, deren Namen Lena vergessen hatte, hatte ein Aufnahmegerät auf den Tisch gelegt und Fragen über Roger gestellt. Wie er war, auch als Kind, was er gern gemacht hatte und über die Lücke, die er hinterlassen hatte. Zu ihrer eigenen Verwunderung hatte Lena während des Interviews nicht weinen müssen. Sie hatte damit gerechnet, in Tränen auszubrechen, da sie zum ersten Mal seit Rogers Verschwinden mit jemand anderem als
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