Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
innere Platzangst – die einzige körperliche Einschränkung, die ich bis dahin an mir hatte feststellen müssen. Oberhalb der 7.000 Meter stand ich vor der Wahl, umzukehren oder mit der Sauerstoff-Flasche weiterzusteigen. Ich nahm das Hilfsmittel hin, Hauptsache ich kam ganz nach oben.
Am Morgen des Gipfelsturms war der Sieg greifbar, wir waren in bester körpe rlicher Verfassung. Um so schmerzlicher war es, als das Wetter umschlug. Der Sturm dauerte einen Tag an, einen zweiten Tag, die Höhe zehrte uns aus. Am dritten Tag war klar, wir mussten umkehren.
Der Abstieg wurde zum Überlebenskampf. Einer der Kameraden stür zte ab und wurde nie gefunden, ein anderer verlor seinen linken Handschuh, erfror sich die Hand, es mussten später alle Finger amputiert werden. Während des Sturms hatten wir als vermisst gegolten. Die Klatsch-Zeitungen bastelten aus Vermutungen über unser Schicksal tagelang die Schlagzeilen. Seriöse Zeitungen folgten, und immer war der Tenor: Amateur treibt Profi-Expedition in die Katastrophe. Wie geprügelte Hunde kehrten wir heim. Die Wahrheit wurde nie gedruckt.
Drei Kameraden des Teams versuchten es zwei Jahre später mit e iner anderen Expedition noch einmal und errangen den Gipfelsieg, was den großen Zeitungen keine Zeile wert war. Vielleicht hätten sie es zum Thema gemacht, wenn „der Amateur“ wieder dabeigewesen wäre, aber ich hatte verzichtet. Den Tod vor Augen, hatte ich damals beim Abstieg entschieden: Ich wollte leben. Snowboard-Abfahrten auf lawinengefährdeten Pisten, Tauchen unter Weißen Haien in den Gewässern vor Südafrika und Australien und was ich seitdem sonst noch so getrieben hatte, das alles waren Placebos gegen den Drang in mir, der fortbestand, aber mich nie mehr wirklich dem Tod nahe brachte. Seit dem Everest wusste ich, wo die Grenze war. Silke und Melanie lagen gründlich daneben.
Ich zog meine Liste hervor. Unter „Fünftens“ schrieb ich: Te rmin Vermögensberater, ich muss mir über meinen finanziellen Spielraum klarwerden – und machte gleich einen Haken dahinter. Punkt 6 wurde: Langfristiger Schutz: Stacheldraht über Zäunen und Mauern rund um das Gelände. Hantel- und Lauftraining wieder aufnehmen, Karatekurs besuchen, eine Pistole besorgen und schießen lernen.
Mein Magen knurrte. Ich ging zurück in die Küche. Auf dem Tisch stand ein Teller mit Eiern und ein Topf Kaffee. Silke war ve rschwunden. Ich schaute nach draußen in die Halle. Ihre Jacke hing nicht mehr an der Garderobe. Mir verging der Appetit.
Si lke war seit meiner Schulzeit eine enge Vertraute für mich, und das hatte, als ich sie als Haushälterin einstellte, beträchtlich zu den Schwierigkeiten beigetragen, die ich damals schon mit Melanie hatte. Nicht, dass sie wirklich geglaubt hätte, ich gehe fremd, auch wenn sie es mir gelegentlich vorwarf; aber sie war eifersüchtig, weil sie ahnte, dass ich mit Silke Probleme besprach, die ich mit ihr damals nicht mehr besprechen konnte. Und wohl nahm sie auch an, ich diskutiere mit ihr unsere Ehe, was natürlich nicht der Fall war. Nun hatte sich auch Silke gegen mich gewandt – eine Meinungsverschiedenheit wie diese, einem Ehekrach nicht unähnlich, hatte ich mit ihr noch nie gehabt.
Selten war ich mir so einsam und verlassen vorgeko mmen wie an diesem Morgen. Noch mehr einsam und auf sich allein gestellt kann man sich kaum fühlen, dachte ich damals, doch auch was das betrifft sollte es erheblich schlimmer kommen.
Ich stocherte in den Eiern herum, trank den Kaffee und bestär kte mich innerlich in der Zuversicht, dass auch diesmal wieder alles gut ausgehen werde, aber dass es mit Abwarten nicht getan war. Es war ja leicht, eine Liste zu machen, aber eine andere Sache war es, die Punkte darauf auch umzusetzen. Der Teil in mir, der gerne unter den Teppich kehrte und aussaß, ließ es mich schon bereuen, mich so hastig mit meinem Vermögensverwalter verabredet zu haben. Eher widerwillig machte ich mich auf den Weg.
Eine halbe Stunde vor dem Termin mit Dr. Hermann Bacher nahm ich Platz an einem der abgelegeneren Tische in einer Gewölbenische des Bur gkellers und bestellte eine Apfelschorle. Ich nutzte die Zeit, um meine Stichpunkteliste zu einem Plan auszuarbeiten und mir über meinen Bedarf an Bargeld klar zu werden.
Ich war aus dem Bauch heraus der Meinung, in einer finanz iellen Lage zu sein, in der auch ein noch so hoher Betrag keine Rolle spielen würde, aber Hermann schätzte es, mit genauen Angaben zu arbeiten. Seine
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