Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
gar nicht gedacht hatte.
Ich wählte die Nummer meines Vermögensverwalters Dr. Hermann B acher. Er war, wie immer, zur Stelle. Wir verabredeten uns zum Mittagessen im Burgkeller.
Als ich aufgelegt hatte und gerade nach dem Telefonbuch s uchen wollte, hörte ich einen Knall in unmittelbarer Nähe. Aus meiner Kehle drang ein keuchender Laut, ich dachte: Jetzt passiert es, der Scheißkerl steht schon neben mir!
Ich fuhr herum – und sah Silke, die gerade eine Pfanne aus e inem der Küchenschränke geholt und unsanft die Schranktür geschlossen hatte. Sie fragte:
„Eier mit Speck?“
Ich atmete tief ein und aus, froh darüber, dass sie mein Erschrecken nicht bemerkt hatte, und stand auf.
„Ja, und Kaffee bitte. Wo sind übrigens die Telefonbücher?“
„In der Bibliothek im rechten Schreibtisch-Schubfach, wo sie hingehören.“
Ihre Stimme klang kalt und streng. Deshalb fragte ich, schon halb zur Tür draußen und eher beiläufig:
„Sag mal, hast du irgendwas?“
Sie stand mit dem Rücken zu mir im Sonnenlicht, legte Speckstre ifen in die Pfanne, drehte sich dann zum Kühlschrank, holte drei Eier heraus, legte sie neben den Herd. Ich wartete auf ihre Antwort. Sie füllte Wasser in die Kaffeemaschine, breitete einen Filter in die Tropfaufhängung, löffelte Kaffeepulver in den Filter...
„Silke, was ist denn?“
„Ich frage mich, wie du das tun konntest.“
„Was denn tun?“
„Marianne hat mir alles erzählt.“
Verrückt, wie durcheinander es in solchen Momenten in einem g ehen kann. Das erste, was mir einfiel, war der 200-Mark-Gutschein, den ich die CbT-Geschäftsführerin auf Silkes Namen hatte ausstellen lassen – und wie unpassend es nun gewesen wäre, sie damit zu überraschen.
„Sie hat dir alles erzählt, ach was. Ihr seid wohl auf einmal g ute Freundinnen?“
„Nein, bestimmt nicht. Aber das betrifft auch mich.“
„Also, ich weiß ja nicht, was dir Melanie mitgeteilt hat, aber wir sind nicht von der Roten Armee eingekreist, sondern ein Kleinganove hat versucht, mich zu bestehlen, und das ist ihm nicht gelungen. Und jetzt ist er auf der Flucht und hat bestimmt ganz andere Sorgen als hier noch mal aufzutauchen.“
„Ja, und auf den Mount Everest ist es ein Spaziergang.“
Sie schlug die Eier in die Pfanne. Es zischte, und ich sah das Fett in winzigen Tröpfchen spritzen.
„Was soll denn das nun wieder heißen?“
„Bisher hast du mit deinen Alleingängen nur dich selber gefährdet. Aber jetzt müssen wir alle Angst haben.“
„Das war kein Alleingang! Ich bin da so reingeschlittert, ve rstehst du, dieser Polizist...“
Sie fuhr zu mir herum, den Kochlöffel in der Hand.
„Du bist ja nie schuld. Beim Everest war es das Wetter. Und jetzt natürlich der Polizist!“
„Aber es war das Wetter! Die beiden Fälle sind überhaupt nicht vergleichbar. Außerdem helfen uns Vorwü rfe gar nichts.“
Sie wandte sich wieder den Eiern zu und blieb eine Erwiderung schu ldig. Kopfschüttelnd ging ich hinüber in die Bibliothek und setzte mich an den Schreibtisch.
Es machte mich rasend, wenn j emand alles durcheinander warf und mit Sachverhalten argumentierte, von denen er keine Ahnung hatte. Der Schneesturm war nicht vorherzusehen gewesen. Reines Pech, ansonsten hätte ich es geschafft. Denn ich hatte an alles gedacht, ich hatte trainiert bis zum Umfallen, ich war vorbereitet. Reinhold Messner war von Jugend an mein Idol gewesen, seinen Perfektionismus bewunderte ich ebenso wie seine körperlichen Leistungen am Berg. Ich las alles, was er geschrieben hatte, seine Bücher kannte ich auswendig. Und ich verbrachte mehr Zeit in den Alpen als an der Uni. Kommerzielle Expeditionen zum Dach der Welt waren damals noch undenkbar, also suchte ich andere Wege.
Meine Chance kam, als ein österreich isches Team von Profi-Bergsteigern nach Sponsoren suchte. Mit dem Geld meines Vaters finanzierte ich diese geplante Everest-Expedition komplett. Mitmachen lassen wollten sie mich trotzdem nicht so ohne weiteres, ich musste mit ihnen zweimal aufs Matterhorn und über die drei schwierigsten Routen auf die Zugspitze, um sie von meiner Everest-Tauglichkeit zu überzeugen. Erst danach war ich einer von ihnen, aber fühlte mich weit überlegen, denn ich war jünger, und ich war begieriger.
Meter für Meter nach oben wurde mir mein Hochmut abgebaut. Ich wollte es mit der Kraft meiner eigenen Lu ngen durchziehen, so wie Messner und Habeler, aber war nicht geschaffen für dünne Luft. Ich bekam eine Art
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