Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
nicht, um mich als Wohltäter zu brüsten, sondern weil es mir heute eine Ausmaß an Oberflächlichkeit offensichtlich macht, das ich damals nicht in der Lage war zu erkennen. Silke rechnete ich zu meinen engsten Vertrauten und hatte doch keine Ahnung, womit ich ihr eine wirkliche Freude hätte machen können. Ich schenkte nicht, sondern rotzte die Geschenke heraus. Das Geld dafür hatte ich ja.
Punkt 12 lieferte der Partyservice, den ich beauftragt hatte, das kalt-warme Büffet, mit dem ich Frau und Sohn empfangen wol lte. Mit einer der Mitarbeiterinnen, einer bildhübschen Spanierin, gelang mir ein kleiner Flirt. Ich genoss ihre Bewunderung für mein Haus und ihre unzweifelhaft verlangenden Blicke für mich selbst.
Aus heutiger Sicht war dieser Moment der Höhepunkt meines damal igen Lebens: Es war das letzte Mal, dass ich mich reich, begehrt, gesund, stark, frei, sicher und zu allem in der Lage fühlen konnte, voll Vorfreude auf herrliche Tage - und dieses Zusammentreffen all dessen, was man für die Eckpfeiler eines erstrebenswerten Lebens hält, auch auskostete.
Eine halbe Stunde später, der Moment, in dem Melanie mit Mi rko vorfuhr, hätte die Hochgefühle noch übertreffen können, aber ich war so erpicht darauf, einen guten Eindruck zu machen, dass ich mir selbst verkrampft vorkam und die beiden wohl auf weit mehr Distanz gehen ließ als sie es vorgehabt haben mochten. Mein Sohn trug erste kantige Züge im Gesicht, dazu Pickel und Bartflaum. Ich hatte ihn ein halbes Jahr lang nicht gesehen, er war mir fremd und doch so vertraut, und es verletzte mich die distanzierte Höflichkeit, mit der er mich begrüßte.
Melanie lächelte, legte mir kurz den rechten Arm um die Schu lter, während sie sich mit der linken an ihrer Handtasche festklammerte, und gab mir einen Schmatz auf die Backe. Genauso begrüßte sie ihre Freundinnen. Das schmerzte mich und erboste mich auch, aber, nun gut, wir hatten Zeit, wir würden uns wieder näher kommen. Nicht an diesem Nachmittag wohl, die beiden nahmen nur ein paar Happen vom Büffet, lobten im Vorbeigehen den Baum als hübsch und verschwanden dann zu ihrem Gepäck auf ihre Zimmer, wollten ausräumen, sich ausruhen, sich duschen und umziehen. Sie kamen mir vor wie Verbündete, die in ihren geheimen Plänen gegen mich vereint waren. Ich fühlte mich einsamer als vor ihrer Ankunft.
Nächster gemeinsamer Termin wäre Kaffeetrinken um 17 Uhr gew esen. Ich stand verlassen in der Halle, bewunderte und betrauerte den Baum, testete die Beleuchtung und war froh, dass ein Strang der elektronischen Christbaumkerzen dunkel blieb. Ich musste nicht länger herumstehen und warten, ich hatte die Aufgabe, rasch in die Stadt zu fahren, um Ersatzlichter zu besorgen. Ich klopfte an Melanies Tür, meldete mich ab, ohne dass ich sie zu Gesicht bekam, und verließ, freilich ohne das zu ahnen, zum letzten Mal mein Haus.
Zum letzten Mal stieg ich in der Garage in meinen Mercedes, fühlte die Lederpolster kühl an meinem Rücken, vernahm das satte Brummen des Motors, drückte den Knopf des Garagentorhebers und hörte das Knirschen der Reifen auf dem Kiesweg zum Portal. Erste Schneeflocken rieselten, und ich freute mich darüber. Der Gedanke an weiße Weihnachten stimmte mich hoffnungsvoll. Wir würden zu dritt lange Spaziergänge auf unserem Grundstück machen, durch die Wälder und am See entlang, und würden von der Felsformation der Schönen Aussicht auf die tief verschneite Stadt hinunterschauen.
Zum letzten Mal drückte ich von meinem Grundstück aus den Se nder für das Rolltor zur Straße. Hinterher fragte ich mich oft, ob ich in diesem Moment nicht etwas ahnte oder gar wahrnahm, irgendeine kleine Veränderung. Aus heutiger Sicht bin ich mir sicher, ahnungslos gewesen zu sein, aber damals, im Gesamtzusammenhang aller Ereignisse und in dem Moment, in dem es passierte, dachte ich mir: Aha, so ist das, also doch, irgendwie wusste ich es schon vorhin.
Vorhin, das war der Moment, als ich durch das von zwei Sandstei nmauern eingefasste Portal über den Bordstein auf die Straße einbog.
Jetzt, das war der Moment, als ich aus der Stadt zurückkam, zwei Kartons mit Lichterketten auf dem Beifahrersitz neben mir, als ich den Sender betätigte, aber das Rolltor nicht re agierte. Ich drückte und drückte noch mal, wartete und hatte dann einen durchaus logischen Grund, aus dem Wagen zu steigen und zum Tor zu gehen. Ich dachte: Mag sein, dass die Mechanik durch den Temperatursturz und den
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