Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
Schneefall eingefroren ist, obwohl dergleichen in all den Jahren bei noch viel heftigeren Wetterkapriolen nie der Fall gewesen war.
Ich weiß heute nicht mehr, was ich eigen tlich machen wollte – vielleicht am Tor rütteln oder klingeln und Melanie auf den Defekt aufmerksam machen? Nadelspitze Eiskristalle peitschten mir ins Gesicht, das weiß ich noch, und dass ich mir den Mantelkragen hochstellte, das weiß ich auch noch. Der Mercedes stand halb auf dem Bürgersteig, die Scheinwerfer rissen das langgestreckte, schmiedeeiserne, schwarz gestrichene Tor und die beiden Sandsteinmauern hinter den Lamettastreifen des Schneefalls aus dem Dämmerlicht und einen Teil der drei Meter hohen Wacholderhecke, die beiderseits des Tores begann beziehungsweise sich schloss, wie auch immer, sie umrundete von hier aus bis auf zwei Nebenzugänge lückenlos das gesamte Grundstück.
Ich spürte e inen Schlag oder Stich an der Rückseite des linken Oberschenkels etwa dort, wo der Mantelsaum endete.
Es ist sel tsam, an manchen Tagen bin ich mir sicher, es war ein tiefer Einstich fast bis auf den Knochen, es läuft mir kalt den Rücken hinunter bei dem Gefühl, die Knochenhaut des Oberschenkelknochens werde von einer Nadel geritzt; an anderen Tagen wieder erinnere ich mich deutlich an einen heftigen, festen Schlag knapp über der Kniekehle, stumpf und mit flacher Hand wie eine Ohrfeige ausgeführt.
Ich fuhr reflexartig herum, aber in der Bewegung des Umdrehens riss es mich auch schon zu Boden, und mein Bewusstsein begann sich zu trüben. Die Wirklichkeit wurde zu Kaugummi, zu e inem trägen Wackelpudding, Filmriss – Klischees sind das, aber für das, was mir passierte, sind sie einfach zutreffend. Mein Oberkörper war knochenlos geworden und sackte auf den Unterkörper, es sog und riss mich förmlich zu Boden, als würde ich mit aller Gewalt von unten her gezogen.
Ich weiß nicht, ob ich vornüber kippte und der Länge nach hi nfiel oder einfach in mich zusammensackte, es war eine Sache von Zehntelsekunden, für mich aber ein zeitloser Augenblick. Eben noch auf zwei Beinen, sehe ich alles aus der Perspektive des am Boden liegenden. Im ersten Moment ist das Bild verschwommen, ich begreife nicht und begreife doch. Es ist, als sei ein Teil von mir wach geblieben, habe alles erlebt und womöglich schon vorher gewusst. Dieser Teil steht hinter dem, der sich erst orientieren muss, sie werfen ihre Eindrücke zusammen, auf einmal ist da das Gesamtbild.
Ich erlebe diese Momente fortlaufend wie einen Film und doch a bgehackt wie eine Diashow, sehe mich stürzen, während mein Körper mir schon nicht mehr gehört, Filmriss, sehe mich auf der Straße im Schnee liegen, den Blick starr geradeaus auf den linken Vorderreifen des Mercedes, Nässe an einer Hand, ich kann nicht herausfinden welcher, und wo ist die andere Hand, wo sind meine Beine, Filmriss, Leute kommen, fremde Stimmen, Filmriss, kann nicht schreien, nicht mal flüstern, Erinnerung an Alpträume, in denen man sich bemerkbar machen will, aber keinen Ton herausbringt, ein solcher Alptraum muss das sein, Filmriss, plötzlich ein Augenblick höchster Bewusstheit, ich erlebe alles gleichzeitig und begreife, sehe mich ahnungslos in die Stadt fahren, derweil die Bande schon auf meine Rückkehr lauert, der gute alte Honki zieht die Fäden, ich muss über Rogallas Verniedlichung dieses üblen Ganoven in mich hineinkichern in meinem rauschartigen Zustand, Filmriss, ich werde getragen, habe einen metallenen Geschmack im Mund, Filmriss, der Kofferraumdeckel wird über mir zugeknallt, ich spüre einen spitzen Gegenstand unter meiner Hüfte, muss endlich mal hier drin aufräumen...
Filmriss.
Schwärze.
Nich tvorhandensein.
Kapitel 5
In den Monaten, seit im CbT alles begonnen hatte, rechnete ich immer mal wieder mit Einbrüchen des Absonderl ichen in mein Leben. Ich malte mir, ganz am Anfang, aus, dass ich mich mit dem Polizisten anfreunden, vielleicht bei der Polizei anheuern und sein Partner werden würde; oder ich würde nach Honkes suchen, ihn näher kennenlernen, Geschmack am Outlaw-Dasein finden und auf die schiefe Bahn geraten; oder ich unternehme überhaupt nichts, der Verbrecher lauert mir in einem versteckten Winkel meines Grundstücks auf, verprügelt mich, schlägt mich vielleicht zum Krüppel; er manipuliert mein Auto, fackelt mein Haus ab, vergewaltigt meine Frau, schnappt sich meinen Sohn; was auch immer, auf jeden Fall wäre Schluss mit dem ereignislosen Dahinleben.
Aber
Weitere Kostenlose Bücher