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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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fühlte mich fiebrig und fragte mich, was in diesem Loch in meinem Arm gerade vor sich ging und wie mein Körper damit fertig werden würde.
    Es gab nichts, worüber ich mir in diesem Auge nblick im Klaren war: Ich wusste nicht, wie folgenschwer verletzt ich war, ob ich während meiner Ohnmacht eine angemessene medizinische Versorgung erhalten oder nur einen womöglich gebrauchten Verband über die ungereinigte Wunde bekommen hatte. Ich wusste weder, wo ich war, was meine Familie gerade machte, noch wusste ich Datum und Uhrzeit. Keine Ahnung, was mir bevorstehen würde, ob mein Fall ernsthaft verhandelt und meine Unschuld zumindest in Erwägung gezogen werden würde oder ob sie mich einfach für immer wegschließen oder gar hinrichten würden. Keine Kraft, zur Tür zu kriechen und mich bemerkbar zu machen.
    Ich versuchte Trost zu finden in dem Geda nken: Das ist nicht echt, das passiert nicht wirklich, das muss ein scheußlicher Traum sein. Und wurde überwältigt von der Angst, den Rest meines Lebens in dieser Zelle vegetieren zu müssen – in einem sowjetischen Gefängnis, was für mich immer gleichbedeutend gewesen war mit der Hölle auf Erden.
     
    Der Wärter fand mich neben dem Klo liegend. Seine Füße waren neben meinem rechten Ohr. Ich sah an seinen Hosenbeinen entlang hoch zu seinem ausdruckslosen Gesicht unter der Schirmmütze und erwartete, dass man mich nun auf die Krankenstation verlegen oder zumindest einen Arzt holen würde. Der Wärter half mir nicht einmal auf das Bettgestell mit der Schaumgummimatratze. Er hatte sich versichert, dass ich noch lebte, ließ mich nun einfach auf dem kalten Betonboden liegen, ging mit klackenden Schritten aus der Zelle, die Metalltür krachte ins Schloss, es klickte zweimal, ich war wieder allein.
    Zu spät kam mein Krächzen: „Bitte helfen Sie mir...“
    Dann muss ich wieder ohnmächtig geworden sein.
     
    Etwas rüttelte an mir. Ich lag erhöht. Wie war ich auf das Bettgestell gekommen? Neben mir auf einem der Stühle hockte ein Mann, rund und fest wie eine Billardkugel, und grinste mich freundlich an. Er trug einen mausgrauen Anzug mit Krawatte in gleicher Farbe und ein sozialistisches Abzeichen am Revers. Mit der rechten hielt er einen Zeichenblock hoch, auf dem in mit unsicherer Hand gemalten Großbuchstaben stand:
    „ICH JURA STUDIERT LEIDER TAUBSTUMM DESWEGEN KEIN ARBEIT ABER GUT IN DEUTSCH ANWALT HIER GEWORDEN VERHANDLUNG UBERUBERMO RGEN“
    Er deutete auf einen Block, der auf dem zweiten Stuhl in me iner Reichweite lag, ein Bleistift obendrauf. Euphorie durchflutete mich: Ich war doch nicht verloren! Jemand war gekommen, um mir zu helfen! Viel zu schnell setzte ich mich auf, ging durch einen Anfall von Kreislaufschwäche, tastete mit schwarzem, flimmerndem Blick nach dem Block, nahm den Bleistift in die linke Hand und schrieb zittrig aber lesbar:
    „Mein Name ist Frank Fercher. Ich bin aus Deutschland ve rschleppt worden. Mit der Vergewaltigung habe ich nichts zu tun.“
    Mein Anwalt las Buchstaben für Buchstaben mit stummen Lippenbew egungen von meinem Blatt und fing dann an, in einem dickleibigen Wörterbuch zu blättern, die Wörter abzumalen und dabei jeden Strich mit Finger hier, Finger da auf korrekte Schreibweise zu vergleichen. Meine Euphorie kühlte deutlich ab. Schließlich hatte er geschrieben:
    „ALLE BEWEISE GEGEN SIE BESSER GESTEHEN“
    Ich schüttelte den Kopf und schrieb:
    „Ich bin unschuldig und kann das beweisen! Die Polizei muss nach einem gewissen Peter Honkes und seiner Bande s uchen!“
    Wieder blätterte er, suchte mit dem Finger, formte mit den Li ppen jeden Buchstaben, blätterte weiter und schrieb dann:
    „WENN NICHT GESTEHEN FUR IMMER ARBEITSLAGER WENN GESTEHEN HOC HSTENS ZWANZIG JAHR“
    Er grinste mich freundlich an, stand auf und klemmte sich Block und Wörterbuch unter den Arm.
    „Warten Sie!“, schrieb ich und sah ihn aus den Augenwinkeln ungerührt zur Tür gehen. Ich hatte irgendeinen Beweis für meine Unschuld anführen wollen, um ihn für einen Dialog zu interessieren, doch so schnell fiel mir keiner ein. Daher bat ich ihn, meine Frau über meine Lage zu informieren, und schrieb ihm die Telefonnummer auf. Er hatte schon nach dem Wärter geklopft, als ich fertig war. Ich riss das Blatt ab, hielt es ihm hin. Er winkte ab. Ich stand auf, schwankte, machte zwei Schritte, wedelte mit dem Blatt und schrie: „Rufen Sie doch wenigstens meine Frau an, Herrgott noch mal!“
    Man sollte meinen, dass es nichts bringt, einen

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