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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Taubstummen anz uschreien. Doch die Aggression schlägt auch über Lippenbewegungen und Grimassen durch. Der Anwalt stellte sein Grinsen ab, schaute mich erbost an, aber nahm mein Blatt an sich, auch die beiden anderen, die ich rasch noch abriss und ihm hinhielt, steckte sie in seinen Block und verließ mit dem Wärter die Zelle.
    Ich tastete mich zurück zu meinem Lager und verschnaufte le eren Kopfes. Aus dem Nichts heraus wurde mir klar: Ich hatte eben keine Beweise. Die Situation war eindeutig gewesen. Die Frau hatte nur mich und sonst niemanden gesehen. Es hatte das gleiche Blut und das gleiche Sperma an uns geklebt. Ich weiß nicht, ob es damals schon möglich war, einen solchen Fall mit Hilfe eines Gentests zu entscheiden und wenn ja, ob man auch an diesem Ort irgendwo im postsowjetischen Nirgendwo dazu imstande gewesen wäre – mir fiel dergleichen gar nicht ein.
    Ich aß etwas Brot, trank viel Wa sser, behielt diesmal beides in mir, zerbrach mir den Kopf und schrieb schließlich, kurz bevor das Licht ausging, wenigstens einen Beweis für meine Unschuld auf meinen Block, der mir unumstößlich schien. Zumindest meinen Anwalt würde ich damit aus seiner Programmierung auf ein Schuldgeständnis reißen.
     
    Aber mein Anwalt kam nicht mehr. Es kam auch kein Arzt, und so entschied ich, als die Schmerzen im Handgelenk zwei Tage später abstumpften und ich so weit zu Kräften gekommen war, dass mich keine Kreislaufattacken mehr plagten, selbst nachzusehen, was aus der Wunde geworden war.
    Ich wickelte den Verband ab, fand einen rosigen, von Druckste llen verknitterten Unterarm und am Handgelenk eine Sauerei von verkrustetem Blut und Eiter, an dem der Verband klebte. Es gelang mir, das Gewebe zu lösen, ohne dass die Verletzung aufbrach. Ich trank mich satt und schöpfte den Rest des Wassers, einen knappen Liter vielleicht, über dem Klo mit der linken Hand über meinen Arm und reinigte die Wunde.
    Meine Heilkraft schien auch diesem Fall gewachsen. Der Zah nkranz oben und unten an der Innenseite meines Handgelenkes zeichnete sich ab wie auf die Haut geschminkt. Die Schneidezähne hatten sich tief ins Fleisch gefressen, die Löcher waren wie angefüllt mit schwarzrot geronnenem Blut und damit fest verpfropft. Im Moment des Bisses hatte ich das Gefühl gehabt, als würden die Backenzähne meine Speiche zermalmen. Tatsächlich hatten sie nicht einmal die Haut durchschlagen, sondern nur blaugrüne Flecken hinterlassen und offenbar wenig Schaden angerichtet.
    Vorsichtig bewegte ich die Hand in alle Richtungen. Es ging u nter Schmerzen, alle Sehnen schienen intakt. Ich fand keine Spuren einer Entzündung, und auch den charakteristischen Streifen einer Blutvergiftung suchte ich, zum Glück, vergeblich. Was mich ein wenig irritierte, waren kaum wahrnehmbare Hautveränderungen an den Rändern der Schneidezahn-Wunden, kleine unschöne Wulste, die ich als einsetzende Narbenbildung zu meinen Gunsten deutete und rasch wieder vergaß.
    Ich setzte den Verband mit einem unverkr usteten Stück über der Wunde an, wickelte ihn mehr als Polster denn als Wundschutz ums Handgelenk, krempelte den Ärmel herunter und setzte mich aufs Bett vor den Stuhl mit Block und Bleistift.
    Morgen sollte die Verhandlung sein. Mein Anwalt kam mir vor als sei er von meiner Schuld überzeugt. Er wollte keine Arg umente von mir hören, sondern ein Geständnis. Auf ihn konnte ich als Rechtsbeistand nicht zählen. Aber ich konnte ihn als Übersetzer heranziehen. Was ich brauchte, war eine Aussage des Vergewaltigungsopfers. Auf dieser einen Aussage basierte meine ganze Strategie, die ich nun in einfachen, kurzen Sätzen auf meinem Block festlegte, um meinen Anwalt nicht zu überfordern und Übersetzungsfehler auszuschließen. Würde die Frau, nach allem, was sie durchgemacht hatte, an der Verhandlung überhaupt schon teilnehmen können? Würde man, andererseits, die Verhandlung ansetzen, ohne dabei das Opfer, das zugleich die einzige verfügbare Zeugin war, befragen zu können? Ohne sie war meine Strategie nicht anwendbar, und so blieb mir gar keine Wahl als ihre Anwesenheit vorauszusetzen.
    Ich ging me ine Fragen immer wieder durch und kam schließlich zu der Überzeugung, mit dieser Argumentationsfolge, auch wenn man noch so darauf fixiert war, in mir den Täter zu sehen, das Gegenteil beweisen zu können. Ich wollte eine kurze Verhandlung, einen eindeutigen Freispruch und dann die sofortige Rückkehr in meine Heimat.
     
    Mit meiner verbissenen Arbeit

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