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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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an meinem Plädoyer beschwor ich eine Art Reisefieber. Ich war zutiefst überzeugt: Heute ging es endlich nach Hause! Würden sie mich in ein Flugzeug setzen oder mit der Bahn schicken? Egal, ich würde die Reise genießen wie niemals eine zuvor. Ich begegnete dem kleinen Frank wieder an diesem Tag, der mit Verdacht auf Lungenentzündung eine Woche im Krankenhaus hatte verbringen müssen, der sich, als die Entlassung in der Luft lag, über Nacht zurechtgelegt hatte, wie er im Bett sitzen und schauen musste, um so gesund zu wirken wie er sich fühlte und vom Oberarzt bei der Visite endlich freigesprochen und nach Hause geschickt zu werden; der bei der Fiebermessung um sechs Uhr morgens beschummelt und das Thermometer schon nach zwei Minuten unter dem Arm hervorgezogen und heimlich geschüttelt hatte, um ganz sicher auf eine Temperatur unter 37 Grad zu kommen.
    Ich hatte diese Woche im Krankenhaus vergessen gehabt, sie kam am Tag der Ve rhandlung mit dem Bewusstsein zurück, dass mein Leben mehr war als das, als was ich es sehen und woran ich mich erinnern wollte. Mir kamen die Tränen, als das Gefühl wieder in mir lebendig wurde, das mich durchflutet hatte, als der Oberarzt mich mit einem Kniff in die Backe tatsächlich erlöste und ich meine Sachen packen durfte, kaum war er zur Tür draußen. Wie herrlich war es gewesen, nach einer Woche Schlafanzug endlich wieder meine Straßensachen anziehen, das verhasste Krankenzimmer nicht nur für einen kleinen Spaziergang durch die Flure, sondern für immer verlassen zu dürfen, im Krankenhaus-Foyer auf meiner gepackten Tasche zu sitzen und auf einen unserer Fahrer zu warten, der mich abholen würde. Mir taten all die Menschen in ihren Bademänteln so leid, die noch hierbleiben mussten, während ich nach Hause durfte, endlich zurück in mein freies Leben. Sogar auf die Schule freute ich mich.
    So fühlte ich mich an diesem Tag nach einer ähnlich langen Zeit viel krasserer Gefangenschaft als der im Krankenhaus und weit ü blerer körperlicher Einschränkungen, die ich auszustehen gehabt hatte. Ich fühlte mich genesen, die Kraft war zurückgekehrt, die Zelle begann mir Panik zu verursachen, ich musste hier raus!
    Doch dass etwas anders war, zeigte sich erst einmal nur daran, dass mir der diens thabende Wärter bedeutete, den obersten Knopf meines Kittels zu schließen. Ansonsten gab es Wasser und Brot und die gewohnte Isolation, man ließ mich stundenlang schmoren. War die Verhandlung verschoben worden?
    Keinerlei zeitlichen Anhaltspunkt zu haben, wirkt ze rmürbend, wenn ein Tag ist wie der andere und keine Veränderung zu erwarten, aber es frisst erst so richtig in der Seele, wenn man auf etwas wartet. Man fühlt sich bereit für das, was angekündigt wurde, aber wenn es einfach nicht kommt, dann schwindet die Bereitschaft, in meinem Fall schlichen sich Zweifel ein: Zweifel, ob meine Argumentation richtig aufgebaut war, Zweifel, ob man sie überhaupt hören wollte, Zweifel, ob die Verhandlung an diesem Tag stattfinden, Zweifel, ob sie überhaupt stattfinden würde.
    War die Frau womöglich gestorben?
    Als endlich zwei Wärter kamen und mich vor die Zellentür befahlen, mir den Block mit meinem Plädoyer wegnehmen wollten, wogegen ich mich mit Erfolg wehrte, war ich genervt, enttäuscht und gleichgültig gleichermaßen. Ein alberner Trotz war in mir, die absurde Entschlossenheit, mich aus Rache für die Warterei zu verweigern, mir selbst zu schaden und denen damit zu zeigen, dass sie mir innen drin nichts anhaben konnten, dass ich Frank Fercher war, ein stolzer, freier Mensch, und nie nach ihrer Pfeife tanzen würde. Schließlich war ich unschuldig, auch ich war ein Opfer! Was hatten die über mich zu Gericht zu sitzen, statt nach den wahren Tätern zu suchen!
    Ich musste mich mit Gewalt zur Disz iplin rufen, als mich die zwei Wärter in ihre Mitte nahmen und sich einer von ihnen an mich kettete. Ich musste mir meiner äußeren Lage bewusst werden, als sie mich durch Betongänge führten, die mit ihrem nackten Glühbirnenlicht und ihrer Kargheit nichts waren als eine endlos verlängerte und verzweigte Fortsetzung meiner Zelle. Ich musste mich zwingen, mir bewusst zu sein, dass diese Menschen allen Grund hatten, mich für schuldig zu halten und es nicht um ein Kräftemessen ging, um Stolz und darum, eine gute Figur zu machen, sondern dass es um mein Leben ging. Es ging darum, nach Hause zurückzukehren oder in einem Arbeitslager zu verrecken.
     
    Ich hatte über einem

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