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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Verwünschung. Ich schüttelte den Kopf, versuchte beschwichtigend zu wirken in meiner hellen Aufregung. Ich griff nach dem Stift und schrieb unter höllischen Schmerzen:
    „Wie hat der Richter das Urteil begründet? Wir müssen Revis ion beantragen!“
    Billardkugel warf nur einen flüchtigen Blick auf mein Blatt, schüttelte den Kopf und ging einfach davon. Meine Wärter pac kten mich unter den Armen und hoben mich vom Stuhl. Reine Routine. Sie taten ja nur ihre Pflicht. Was in mir vorging, hatte sie nicht zu kümmern.
    Die Enttäuschung expl odierte in mir, und ich explodierte im Griff dieser Männer. Ich hatte so fest darauf vertraut und es mir ausgemalt, in einen Zug nach Hause zu steigen, von einer unermüdlichen Taigatrommel nach Westen geschleppt zu werden, in die märchenhaft verschneite russische Landschaft hinauszuträumen, meine Freiheit zu genießen und aus ihr heraus die eben zu Ende gegangene Phase der Gefangenschaft in meinem Leben Revue passieren zu lassen, an der Grenze dann von deutscher Polizei befragt zu werden. Noch einmal würde ich mich kurz gewissen Formalitäten zu fügen haben, man würde mir meine Geschichte kaum glauben, mich vielleicht zu ärztlicher und gar noch psychiatrischer Behandlung nötigen wollen, aber ich würde ablehnen. Mein Arm war schon okay, mein Seelenleben sowieso. An mir und in mir heilte doch alles so schnell. Ich würde auch nicht zu Hause anrufen, sondern überraschend selbst in der Tür stehen wollen, Melanies fassungslos erstauntes und überglückliches Gesicht sehen, meinem Sohn anmerken, dass er mich vermisst und sich Sorgen um mich gemacht hatte. Ich wollte diesen abscheulichen Gefangenen-Kittel im Kamin verbrennen und wieder der werden, mit Haut und Haaren, der ich immer gewesen war.
    Diese verdammten Wärter hingen wie festgewachsen an mir. Den e inen brachte ich immerhin zum Straucheln, aber er riss mich mit sich nach unten. Der andere warf sich auf mich und auf ihn, für Sekunden bekämpfte jeder jeden, aber dann hatten sie mich unter ihren Knien, drückten mir das Gesicht auf den verdreckten Parkettboden. Staubfusseln und Steinchen gerieten mir in den Mund. Sie verdrehten mir die Arme und brachten meine Wunde zum Bluten, schlugen mir auf den Kopf und rammten mir die Fäuste in den Rücken. Etwas Hartes schrammte mir über die Kopfhaut, brach den Widerstand meines Geistes und befreite meine Seele.

2. Teil
     
    Kapitel 7
     
    Der Schädel wurde mir rasiert. Das letzte bisschen Frank Fe rcher fiel mit den dunkelbraunen Strähnen auf den Steinfußboden und starb. Was danach unter den kalten, harten Wasserstrahl gezerrt und mit einem weißen Pulver bestäubt wurde, war ein als gefühlsabgestumpftes Etwas neu in die Welt getretener Strafgefangener ohne Namen und Vergangenheit. Ja richtig, das war nur ein Film. Ich war verdammt dazu, das alles zu erleben. Unschuld, zwingende Beweisführung, eine Gerechtigkeit an sich, in diesem Drehbuch war nichts davon vorgesehen.
    Bis zu dem Nachmittag im CbT hatte ich in einer Welt gelebt, in der so etwas nicht passierte. Jetzt war ich in eine Welt geraten, in der ausschließlich so etwas passie rte. Aber was war es, das blieb? Was war es, das in beiden Welten existierte, sie verband? Wo war die Gemeinsamkeit? Was und wer war Frank Fercher gewesen, und was und wer war ich nun?
    Ich war ein Knochengestell geworden. Sie schleppten mich tro pfend nass, nackt und barfuß vom Sanitärbereich zu einem Arztzimmerchen. Die Haut am ganzen Körper brannte und juckte von dem Pulver. Ich war halb blind und fror bitterlich. In diesem Zimmer sah ich zwinkernd und blinzelnd das erste Mal seit meinem letzten Morgen in meinem Haus in einen Spiegel. Über einem Waschbecken und einem Ablagebrettchen mit Seifenschale sah ich, wie in einem gerahmten Bild, einen erbärmlichen, heruntergekommen, abgemagerten Sträfling im Griff zweier strammer uniformierter Wärter. Ich sah Rippen unter der Gänsehaut des armen Tropfes im Spiegel, sah Rippen und nochmals Rippen, sah Schlüsselbeine, einen spitzen Adamsapfel, kantige Schulterknochen, eine übergroße Nase, stumpf stierende Augen und eine blutige Schramme an einer weiß glänzenden Glatze.
    Der Arzt saß an einem Tisch und schrieb etwas, legte den Stift beiseite und kam zu uns herüber. Weißer Kittel, tei lnahmsloses Gesicht, ein Stethoskop um den Hals. Er sah mir in Ohren, Mund, Nase und Augen. Streckte seine Zunge heraus und bedeutete mir, es ihm nachzutun. Hörte mich vorne und hinten ab, ich

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