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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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sollte husten, die Luft anhalten, das alles war so vertraut und gerade deshalb so niederschmetternd: Die wenigen Male, die ich in meinem Leben auf die Art untersucht worden war, geschah es zu meinem persönlichen Wohl – hier geschah es allein zum Wohle der Anstalt. Die neue Nummer in der Gefangenenkartei sollte keine Krankheiten einschleppen. Meine Verletzungen nahm dieser Arzt nicht einmal wahr, die waren nicht ansteckend. Ob sie gut oder schlecht verheilen oder mich umbringen würden, wen kümmerte es.
    „Sprechen Sie deutsch?“, fragte ich den Arzt, während er sich e inen Gummihandschuh anzog.
    Ich musste mich nach vorne beugen, schloss die Augen und konze ntrierte mich darauf, diesen erniedrigendsten Teil der Untersuchung nicht an mich heranzulassen.
    „Do you speak English?“, fragte ich, als er den Handschuh wi eder auszog und ich mich aufrichten durfte.
    Der Arzt schmiss das scheußlich widerspenstige Gummiding in e inen Mülleimer mit Klappdeckel, wusch sich die Hände, ging zu seinem Schreibtisch. Es war als hätte ich keine Stimme oder er keine Ohren. Man erklärt es sich anfangs mit vorsätzlicher Gemeinheit oder dummer, flegelhafter Sturheit, keine Antwort zu bekommen, eine nur mäßig tröstliche Selbsttäuschung, denn es ist so schwer zu begreifen und zu akzeptieren, nicht böswillig, sondern routinemäßig verachtet und geschnitten zu werden, als Mensch nicht mehr vorhanden zu sein. Nicht mehr eigentlich wahrgenommen, sondern nur noch taxiert zu werden, in der Kleiderkammer zum Beispiel: geschätzte Hüftbreite ist gleich vermutliche Unterhosengröße, man bekommt ein grauweißes, ausgeleiertes Stück Stoff und hat es anzuziehen, egal, was man davon hält. Einen steifen Kittel, unförmige Hochwasserhosen, verformte Galoschen. Kein Unterhemd, keine Socken. Pulver abklopfen vor dem Anziehen verboten. Angezogen brennt es noch schmerzhafter, das Jucken ist kaum zu ertragen. Ich muss niesen, der Rotz läuft mir aus der Nase, Taschentücher sind nicht vorgesehen, zum Abwischen bleibt nur der Ärmel.
    Während wir durch kahle, grünliche Betongänge vorankommen, muss i mmer mal wieder an einem Zwischengitter angehalten und um Durchlass gebeten werden. Die Wärter gönnen sich mit den Zwischengitter-Bewachern einen kurzen Schwatz. Es geht um mich, offenbar wird Information über das mir zugeschriebene Verbrechen verbreitet. Während wir dann weitergehen, ein paar Treppen hinab, den nächsten kahlen, grünlichen Betongang entlang, kommt mir das tonnenschwere, dreidimensionale Labyrinth um mich herum mehr und mehr als schützende Höhle vor. Ich weiß nicht, wo ich bin, in welchem Land, in welcher Stadt, in welcher Zeit, aber hier kann ich erst mal zur Ruhe kommen und meine Situation überdenke. Beinahe freue ich mich auf meine Zelle, obwohl ich schon weiß, dass sie mir Platzangst verursachen wird. Aber was werde ich froh sein, allein gelassen zu werden und in mich gehen zu können, einen kleinen privaten Raum um mich zu schaffen und zusammenzuzählen, wie es um mich steht. Es gibt immer einen Ausweg, man muss ihn nur finden, und dafür brauche ich Ruhe.
    Aber das war nicht der Tag, an dem Erwartungen erfüllt wu rden. Ein paar letzte Treppen ging es hinab. Wir gelangten in einen schwülen, stickigen Zellentrakt, nur: Einzelzellen waren das nicht und schon gar keine privaten Räume. Den Gang entlang folgte zur Linken Massenverschlag an Massenverschlag. Ganze Räuberbanden lungerten gedrängt in fensterlosen, nischenartigen Kammern hinter festem Maschendraht, ähnlich den Wabengittern, mit denen ängstliche Hausbesitzer ihre Kellerräume einbruchsicher machen. Es gab keine Türen in diesen Stahlwaben, sondern Klappen mit Vorhängeschlössern.
    Ich wurde auf die Knie gezwungen und musste durch eine Klappe in eine Zelle kriechen. Es stank nach Schweiß und öffentl icher Toilette. Im Vergleich zu dem Lumpengesindel hier drinnen war ich hochherrschaftlich gekleidet. Aus dem Durcheinandergeschwatze dröhnte eine Stimme hervor, ein mächtig röhrendes Krächzen. Der hässliche, vernarbte Elch, der es ausgestoßen hatte, zeigte mit einer seiner Schaufeln auf mich. Einer der Wärter antwortete, und was der Elch da hörte, ließ ihn hasserfüllt glotzen. Er stampfte auf mich zu und versetzte mir eine Ohrfeige, die mich von den Füßen hob und gegen das Gitter schleuderte.
    Ich wusste, ich musste mich so schnell wie möglich aufrappeln, aber da waren die anderen schon über mir. Derbe Pra nken packten mich und

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