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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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fühlte. Diese Schuld war weit hergeholt, aber reichte doch kraftvoll in die Gegenwart: Hätte ich im CbT dem Polizisten nicht geholfen, hätte ich mich in der folgenden Nacht nicht Honkes Erpressung widersetzt, und hätte ich nicht diesen und jenen weiteren Fehler gemacht, ihr wäre nie Gewalt angetan worden. Ich schaute auf meine schwarzen Fingerspitzen und war in Gefahr, mich in mein Schicksal zu ergeben. Der Verband über meinem pochenden Handgelenk hatte sich an einer fingernagelgroßen Stelle dunkelrot gefärbt und glänzte feucht. Honkes und seine Bande müssten hier sitzen, verdammt, und, oh nein, ich würde mich nicht in mein Schicksal ergeben!
    Die Frau sah nun erstmals zu mir herüber, zeigte mit dem Fi nger auf mich, sagte etwas Lautes, Verzweifeltes und Vorwurfsvolles und legte dann die Hände vors Gesicht und weinte. Mein Anwalt schob mir ein Blatt zu, das er beschrieben hatte:
    „FRAU SAGT ERKENNT SIE ALS TATER SEHR BRUTAL GEWESEN“
    Ich hatte das Gefühl, als schlage mir eine Druckwelle von Hass entgegen. Auch der Staatsanwalt zeigte auf mich, sagte mit großem Nachdruck einen letzten Satz in meine Richtung und ging zu seinem Platz. Der Richter wollte an meinen Anwalt übergeben, der aber signalisierte mit einer Handbewegung, er habe kein Fragen.
    „Aber ich habe Fragen“, widersprach ich laut, zog das oberste Blatt aus meinem Block und zeigte es me inem Anwalt. „Ich habe Fragen“, stand darauf. Er las es mit säuerlichem Gesicht, warf dem Staatsanwalt einen verstohlenen Blick zu und schrieb auf die Rückseite meines Blattes:
    „SIE KAPUTTMACHEN ALLES WOLLEN ZWANZIG JAHR ODER LEBENSLAN GLICH???“
    „Ich habe Fragen“, sagte ich noch einmal laut. „Und Sie überse tzen bitte!“
    Ich zog das zweite Blatt aus dem Block und zeigte es ihm:
    „Haben Sie vor, während oder nach der Vergewaltigung gesehen oder gehört, wer Sie vergewaltigt hat?“
    Mein Anwalt blätterte kurz in seinem Wörterbuch und schrieb dann die – wie ich hoffte korrekte – Übersetzung auf ein Blatt seines Blockes. Einer der Beisitzer trat neben ihn, las seinen Satz laut vor. Die Frau schniefte, wischte sich die Tränen ab, schütte lte den Kopf und sagte etwas. Mein Anwalt blätterte kurz im Wörterbuch und schrieb für mich auf:
    „NEIN AUGEN OHREN VERBUNDEN“
    Ich begriff, dass er von den Lippen lesen konnte. Ich zeigte ihm mein nächste Blatt und las dazu laut vor:
    „Wie können Sie wissen, dass ich der Täter war, wenn Sie den T äter gar nicht gesehen haben?“
    Blättern, schreiben, ablesen. Die Frau sagte etwas, mein A nwalt schrieb:
    „SIE AUF IHR SPATER AUSSERDEM GEBISSEN“
    „Lag jemand auf Ihnen in dem Moment, als Sie mich gebissen haben?“
    „JA“
    „War dieser Jemand noch in sie eingedrungen, als Sie sich bereits in meinem Arm verbissen hatten?“
    Als der Beisitzer die Frage vorlas, sprang der Staatsanwalt auf und donnerte dagegen. Der Richter antwortete und schlug mit dem Hammer auf sein Pult. Einspruch und Stattgegeben, man musste die Sprache nicht beherrschen, um das zu verstehen. Ich zeigte meinem Anwalt meine nächste Frage:
    „In welcher Haltung war Ihr Kopf, als Sie sich in meinem Arm verbissen hatten?“
    Der Beisitzer stellte die Frage, wieder erhob der Staatsa nwalt Einspruch, aber diesmal gab der Richter nicht statt. Die Frau war stutzig geworden. Sie überlegte lange. Schmerz und Schock wechselten in ihrem Gesicht mit fragendem Nachdenken und dem Ausdruck ehrlichen Vorsatzes, sich nicht von der Abscheu gegen mich leiten zu lassen. Schließlich antwortete sie, und ich las:
    „KOPF ERST GERADEAUS ABER BISS GROSSER SCHMERZ FUR TATER UND DOCH NOCH WEITER BEWEGUNG IN MIR UND ORGASMUS SELTSAM SO ALS W AREN ZWEI MANNER“
    „Ich bitte um Erlaubnis, vortreten zu dürfen.“
    „ERLAUBNIS ERTEILT“
    Ich stand auf und wickelte mir den von frischem Blut verkle bten Verband vom Handgelenk. Ich hielt meinen Arm in die Höhe und ließ jeden sehen, an welcher Stelle des Gelenkes die Wunde war. Ein Blutstropfen rann, eine breite rote Spur ziehend, von meinem Handgelenk den Unterarm hinab in meinen Ärmel. Auf meinem nächsten Blatt stand:
    „Ich möchte Ihnen jetzt demonstrieren, wie ich den Vorfall e rlebt habe.“
    Zwischen Richterpult und Anklagebank waren einige Meter Raum. Dort auf dem Parkettfußboden legte ich mit meinem blutigen Ve rband die Umrisse eines menschlichen Körpers aus. Links davon ging ich auf die Knie und legte mich auf den Bauch. Ich streckte meinen rechten Arm dorthin,

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