Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte
Infusionsschlauch, die Infusionsflasche...
Keine Handschellen, Gott sei Dank! Weg bin ich wieder.
Das nächste Erwachen ist realer, und noch stärker ist das Gefühl, ich sei entzwei geschlagen worden. Als wäre ich hier und zugleich woanders.
Ich muss aufstehen!
Erst mal den Kopf heben. Ich sehe keine Kacheln mehr, verflixt, es muss jemand hier gewesen sein. Ein kleiner, dunkler Raum ist es, in dem ich liege, durch den Türspalt scheint etwas Licht vom Flur. Ich sehe verputzte, gestrichene Wände und ein zweites Bett links neben mir, frisch gemacht und unbenutzt. Wieder dieses Gefühl von Leichtigkeit im rechten Arm, noch irritierender. Wenn ich jetzt wieder einschlafe, sage ich mir vor, dann war alles umsonst, dann ist die letzte Chance vertan. Aber ich weiß doch nichts, sage ich mir vor, weiß nicht, ob es Tag oder Nacht ist, ob ich bewacht werde oder nicht, ob...
Ich muss es einfach riskieren!
Dreimal tief eingeatmet, um Wachsein gerungen. Also los! Ich bin nicht gefesselt, aber natürlich hängt mein linker Arm an der Infusionsflasche. Also, erste Aktion, gleich eine echte Herausforderung: Mit dem rechten, frisch operierten Arm hinüberlangen und den Infusionsschlauch aus der Ellenbeuge reißen. Ich spüre meine rechte Hand gar nicht. Der Arm ist so leicht. Die Hand kommt drüben an, aber sie greift den Infusionsschlauch nicht.
Verdammtes Narkosemittel!
Ich hebe den Kopf, schaue genauer hin. Mein rechter Arm ist auf dem Weg nach drüben. Aber wo ist meine rechte Hand? Bin ich im Delirium? Plötzlich bin ich wach genug, um zu wissen, dass ich wach bin. Ich fahre hoch.
Meine rechte Hand ist nicht mehr da!
Dieser verdammte Glatzen-Arzt, der Scheißkerl hat mir meine Hand gestohlen!
Ich kann nicht sagen, was ein Schock ist und ob ich in diesem M oment einen erlitt. Ich kann nur sagen, dass ich die Stunden bis zu meinem nächsten Bewusstseinverlust klarer und zusammenhängender, detailreicher und vollständiger erinnere als alles, was ich sonst in meinem Leben mitgemacht habe. Jetzt war ich wach und so stark wie seit Wochen nicht. Das waren sie, die letzten Energiereserven, wie auf Knopfdruck aktiviert. Ich funktionierte, und für eine letzte Zeitspanne würde ich wie in alten Zeiten funktionieren, das wusste ich in diesem Moment ganz sicher. Meine Hand war weg, sie hatten mir den halben Unterarm amputiert, der Stumpf war weiß verbunden. Ich registrierte das, steckte es weg, sah es als geänderte Ausgangsbedingung, aber nicht als Hindernis. Ich hatte die Kraft aufzustehen, also stand ich auf. Das dünne Laken rutschte mir vom Körper, darunter war ich nackt.
Ich ging zur Tür, den Infusionsständer in der linken Hand hi nter mir herziehend. Ganz selbstverständlich, als sei ich einhändig geboren, zuckte nicht mein rechter Arm zum Türgriff, sondern ich parkte den Infusionsständer und öffnete mit links. Ein Blick den Gang rauf und runter – der Weg war frei. Was ist los, Franky, alter Ausbrecher, willst du etwa das Gestell mitnehmen? Aber ich habe keine rechte Hand, um den Schlauch aus dem Arm zu ziehen. Na und, du wirst dich ohne rechten Arm über Tausende von Kilometern nach Hause durchschlagen müssen, also ist das ja wohl keine Sache.
Ich ließ den Infusionsständer im Aufwachraum, rammte die Tür über dem Schlauch zu, klemmte ihn ab damit und fixierte ihn, a tmete knapp ein und aus und riss den linken Arm nach hinten. Der Schlauch sprengte das Pflaster, flutschte mit einem scheußlich knorpeligen Gefühl aus meiner Haut und baumelte an der Tür.
Ich war so klar im Kopf damals. Ich nahm mir die Zeit, die Tür wieder zu öffnen, den Schlauch nach innen zu werfen, die Tür zu schließen. Es gab hier in der Nähe mindestens eine Nachtschw ester, da war ich mir sicher. An der musste ich vorbei, und der durfte ich keine Spuren hinterlassen, die sie meine Flucht früher als nötig würde bemerken lassen.
Barfuß und nackt, einarmig, ging ich über den eiskalten Steinb oden. Nach welcher Richtung, das entschied ich instinktiv, ich war mir so ungewohnt sicher in allem. Und ich war mir meines Zustandes so bewusst: Ich war ausgezehrt von langer Krankheit, frisch operiert, noch unter Narkose – aber darüber war ich aufgeputscht von einem Überlebensdrang, der meinen Körper in einem Notprogramm übernommen, auf höchste Betriebsstufe hochgefahren hatte und durch Wände sah. In Sicherheit bringen, was von Frank Fercher übriggeblieben war, so lautete der Auftrag, und für diesen Einsatzbefehl wurden
Weitere Kostenlose Bücher