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Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte

Titel: Der Mann, der mein Leben zum Entgleisen brachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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würde ich ihm, kaum dass er hier angekommen war, gegenübertreten? Was würde dann passieren? Und auf welcher Seite stand Lina?
    Auf keiner natürlich! Sie wol lte sich nicht entscheiden. Sie wollte verhindern, dass wir uns begegneten, um jede Konfrontation auszuschließen. Ich musste sie darauf vorbereiten, dass ich es darauf ankommen lassen wollte, ich war ihr das schuldig.
    Gleich am nächsten Tag klopfte ich an ihre Haustür. Sie öf fnete mit hochgekrempelten Ärmeln und einem nassen Putzlappen in der Hand. Ihre sonst so streng unter dem Kopftuch verborgenen Haare hingen in grauen Strähnen in die Stirn. Sie schwitzte und war bester Stimmung. In der Regel putzte sie freitags alle Zimmer ihres kleinen Hauses. Heute war Donnerstag, und das Wort „putzen“ wäre stark untertrieben gewesen für das, was sie hier veranstaltete.
    Das Wohnzimmer war auf den Kopf gestellt: alle Möbel von der Wand g erückt, Stühle auf dem Tisch, ein Eimer mit Gips, Spachtel, Hammer, Nägel, Schrauben, ein Pinsel und weiße Farbe standen und lagen auf dem Boden. Die Vorhänge waren abgehängt und schwärzten in einem Blechzuber das schaumige Wasser. Der Teppich lag zusammengerollt in der Mitte des Raums. Bilder und Ikonen waren von den Nägeln genommen, und die weiße Wand war gesprenkelt mit grauen Flecken von frischem Gips, mit dem kleine Risse und Löcher ausgebessert worden waren.
    „Was ist denn hier los?“, fragte ich lachend. Aber mir steckte ein Kloß im Hals, denn ich bildete mir ein, zu wissen, für wen all der Aufwand betrieben wurde. Offenbar stand seine Ankunft bevor.
    „Saubäre Donnerstag“, antwortete Lina fröhlich.
    „Was?“
    Sie breitete die Hände aus – für nähere Erklärungen reichte ihr Deutsch nicht aus. Sie legte den Lappen beiseite und hebelte den Deckel des Eimerchens mit der weißen Farbe auf.
    „Dein Sohn kommt wohl bald?“, fragte ich drauflos und bereute gleich, so mit der Tür ins Haus gefallen zu sein. Sie zuckte nur mit den Schultern und fing in einer Ecke des Zimmers an, die Wand frisch zu weißen. Ich suchte mir einen zweiten Pinsel und half mit, so gut ich das mit links konnte. In diesem M oment schämte ich mich meiner geheimen Pläne. Ich half einer Mutter, die sich auf den Besuch ihres Sohnes freute, ihm einen schönen Empfang zu bereiten, und hatte insgeheim vor, mit diesem Sohn abzurechnen. Es hatte keinen Sinn, mich damit zu rechtfertigen, ihm einfach nur gegenübertreten zu wollen und dass es mir vielleicht schon reichen würde, wenn er aufrichtig Abbitte leistete.
    In Wahrheit war mein Kopf voll von Hass, Gewalt und einem Durc heinander aus Selbstmord- und Mordgedanken. Ich gab mir recht und verurteilte mich zugleich dafür. Ich sah Honkes so, wie ich ihn kennengelernt hatte, und mich selbst als den Krüppel, den er aus mir gemacht hatte. Zugleich sah ich ihn im Gesicht seiner Mutter, die mich gesund gepflegt hatte, und künftig würde ich sie in seinem Gesicht sehen. Es war nicht allein eine Sache zwischen ihm und mir. Was ich ihm antun würde, tat ich auch Lina an, aber ihr etwas anzutun, danach war mir nicht. Ihr die Wand weißen zu helfen, sah ich als die beste Therapie für meine Seele. Einmal mehr machte ich mich innerlich auf die Suche nach anderen Auswegen.
    „Ah, lernst kennen den Sauberen Donnerstag.“
    Pastor Näb war eingetreten und schaute sich wohlwollend um. Mir wurde heiß und kalt, und ich ärgerte mich über die Gewohnheit der Leute hier, einfach ohne anzuklopfen in ein Haus zu platzen. Wie würde er nun dieses Großreinemachen interpretieren? Lina blieb gelassen, und mir fiel nichts anderes ein als zu fragen:
    „Sauberen Donnerstag, was meinen Sie damit?“
    „Na, was ihr hier macht. Jeder im Dorf pflegt das heute, ein alter Brauch. Morgen ist Karfreitag, da muss alles neu und sauber sein.“
    Er haute mir auf die Schulter.
    „Hast einfach geholfen, ohne zu fragen, hä.“
    Ich legte den Pinsel beiseite und schüttelte meine verkramp fte Hand. Ein alter Brauch, so war das also. Und schon hatte ich Gelegenheit, das Mutter-Sohn-Verhältnis wieder nüchterner zu sehen.
    Gegen das Hin und Her der Stimmungen half am besten Able nkung, sagte ich mir, und so blieb ich den Rest des Tages bei Lina und nahm ihr das Renovieren ab, derweil sie Wäsche wusch und die Fußböden schrubbte.
    Am nächsten Tag wurden im ganzen Dorf Ostereier gefärbt. Für mich gab es wenig zu tun, und so verfiel ich wieder ins Grübeln und blieb darin den ganzen darauf folgenden Tag,

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