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Der Mann, der nicht geboren wurde

Der Mann, der nicht geboren wurde

Titel: Der Mann, der nicht geboren wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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…
und schon ein Greis war, … geht’s eigentlich noch.«
    Sie kehrten zum Haus zurück. Dort musste Estéron ihnen erst mal
alles erzählen.
    Â»Es war ganz unverdächtig«, begann der Schmetterlingsmann. »Naenn
war gerade raus in den Garten gegangen, ich war in der Küche und stopfte mir
ein Pfeifchen. Jemand kam durch die Tür, und ich dachte, das wärest du, Rodraeg.
Geräusch und Geschwindigkeit der Schritte – alles passte zu dir. Auch das
Schuhwerk. ›Na, etwas vergessen?‹, fragte ich sogar, erhielt aber keine
Antwort. Der, den ich für dich hielt, ging an der Küche vorbei und dann die
Treppe nach oben. Da wurde es mir dann zum ersten Mal etwas mulmig, denn die
Schritte schienen nun doch nicht so ganz zu einem von euch zu gehören. Beim
Eintreten ja. Oben aber nicht mehr. Der Fremde öffnete die Türen zu mehreren
Zimmern, und dann wurde es für einen oder zwei Sandstriche ganz still. Ich
fragte: ›Rodraeg? Cajin?‹ Dieses merkwürdige Gefühl beschlich mich, wie der
Moment, an dem man in einem tiefen Wald feststellt, dass man sich verlaufen
hat. Ich wusste plötzlich, dass etwas Fremdes im Haus
war, und zwei unterschiedliche Regungen rangen in mir um die Oberhand: Naenn
beschützen, also mich zur Hintertür bewegen, zwischen das Fremde und Naenn, und
das Fremde fangen, seiner habhaft werden, weil dies vielleicht eine einmalige
Gelegenheit wäre.«
    Â»Ihr Götter«, ächzte Rodraeg. »Er hätte bewaffnet sein können,
Estéron!«
    Â»Oh, er war bewaffnet, ganz sicher. Ich
konnte eine Bereitschaft zur Auslöschung von Leben spüren, als er mir
entgegenkam. Aber ich bin keiner von diesen blumenschnuppernden,
weinerlich-feingeistigen Schmetterlingsmännern. Ich bin ein Mitglied des Kreises , ich lebe zwischen Menschen, Magiern und
Untergrundmenschen in den geheimen Kellern der Hauptstadt.« Estéron straffte
sich, seine Augen glühten wie Milchglaslaternen. »Ich ging ihm entgegen. Die
Stiege. Auf halben Weg. Möglicherweise habe ich dadurch immerhin unterbrochen,
was auch immer er dort oben vorhatte. Er spürte mich,
so wie auch ich riechen konnte, dass seine Kleidung und sein Atem schmutzig
waren, verunreinigt von Branntwein und Kaschemmenrauch und dem Blut fremder
Männer. Er erschreckte mich mit seiner Heftigkeit, stürmte mir entgegen, fegte
mich zur Seite mit knöchernen Fingern und war zur Tür hinaus, bevor ich mich
wieder auf die Beine bringen konnte. Er fürchtete mich, dessen bin ich sicher.«
    Â»Und er war nicht auf Mord aus, sonst wärst du jetzt womöglich tot«,
stellte Rodraeg fest und raufte sich tatsächlich die Haare.
    Naenn bibberte schon wieder. Jetzt hatte das Böse auch das Haus
betreten.
    Â»Er durfte niemanden umbringen«, setzte
Rodraeg fort, »denn wenn einer von uns plötzlich tot in seinem Blut liegt,
macht uns das ein Stück weit unverdächtiger. Wir müssen herausfinden, was er
dort oben gesucht hat.«
    Â»Einen von uns?«, riet Cajin.
    Â»Unwahrscheinlich«, sagte Rodraeg. »Er hat das Haus beobachtet. Er
wusste, dass wir beide nicht da waren. Er sah Naenn im Hofgarten,
möglicherweise von der rückwärtigen Seite aus. Er wusste, dass Estéron blind
ist und ihn nicht erkennen kann.«
    Â»Es war ein Mann , Rodraeg«, sagte Naenn.
»Der Getreidespeichermensch wurde von einer Frau ermordet. Es sind also mehrere . Einer beobachtet
unser Haus von vorne, ein zweiter von hinten. DMDNGW ist
eine Gruppe. Möglicherweise hatte Eljazokad von Anfang an recht und DMDNGW steht für Dämmerung .«
    Â»Das ist eine Möglichkeit«, gab Rodraeg zu. »Wenngleich ich von der Dämmerung einen anderen Eindruck habe. Sie sang uns in den
Schlaf, um uns zu bestehlen. Sie rammte niemandem eine Nadel durch den Kopf.
Aber ich weiß natürlich nicht alles über sie. Vielleicht waren die beiden
Knaben, die sie uns damals geschickt hat, um uns das Zepter zu stehlen, nicht
typisch für die Dämmerung .«
    Sie gingen alle vier nach oben, durchsuchten Estérons Gästeraum und
Naenns Zimmer daneben. Dann ließen sie auf dem Flur Hellas’ ehemaliges Zimmer
außer acht und leuchteten mit einer Öllampe in Rodraegs Kammer hinein.
    Diejenigen von ihnen, die nicht blind waren, sahen sofort, was der
Fremde im Haus des Mammuts getan hatte.
    Auf Rodraegs Kopfkissen lag eine schwarze Nadel von der

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