Der Mann der nicht zu hängen war
befürchtete, daß hinter dem Vorschlag des Leutnants etwas anderes steckte. Womöglich wollte er sie an ein Freudenhaus nach Hongkong verkaufen — oder vielleicht sie zum Drogenschmuggel mißbrauchen, irgend etwas in dieser Richtung auf alle Fälle —, nichts Ungewöhnliches in Thailand, besonders vor fünfzehn Jahren.
»Schau Papa, da sind unsere Koffer!«
Das Mädchen ist zur Glastür gelaufen und sieht den Gepäckwagen, der jetzt unter der Convair steht. Die Klappen der Laderäume sind geöffnet. Der Abflug rückt immer näher. Das Kind ist schon ganz aufgeregt und rennt hin und her. Somchai schaut auf die Uhr: noch fünf Minuten.
Leutnant Somchai ist vor zwei Jahren in die Polizei eingetreten. Seine Kameraden halten ihn für launisch, wenig umgänglich und wichtigtuerisch. Er soll auch schon Prostituierte nachts ins Quartier mitgebracht haben. Vor sechs Monaten hatte er sich um einen Posten bei der Flughafenpolizei beworben und ihn auch bekommen.
Das Kind neben ihm plappert: »Die Dame hat gesagt, daß wir uns ähnlich sehen. Stimmt das, Papa?«
Somchai nickt mit dem Kopf und betrachtet seine Tochter. Sieht sie ihm wirklich ähnlich? Er weiß es nicht. Das Kind zählt nicht in seinem Leben. Als Sohn eines Rechtsanwalts hat er auf den Philippinen studiert. Er hat Alice, die Mutter der Kleinen, geheiratet und sich bald darauf scheiden lassen. Die Mutter ging mit dem Kind nach Hongkong zurück, wo ihre Familie lebt. Von da an sahen sich Vater und Tochter nur noch selten. Aber für das Kind waren die Tage in Bangkok immer eine große Freude gewesen.
»Wann darf ich wieder zu dir kommen, Papa?«
»Bald, sehr bald, ich verspreche es dir.«
Somwang weiß, daß er lügt. Das Kind wird nie wieder nach Bangkok kommen — wenn alles wie vorgesehen läuft...
Das Gepäck ist nun verstaut, die Klappen der Laderäume sind geschlossen. »Die Passagiere des Fluges CP 29 nach Hongkong werden gebeten, mit ihrer Bordkarte zum Ausgang zu gehen. Kinder mit ihren Begleitpersonen haben Vortritt«, schallt eine stereotype Frauenstimme aus dem Lautsprecher. Geschäftsleute aus Hongkong, reiche Südvietnamesen, die dem Krieg entfliehen wollen, Technokraten aus New York, Touristen in Jeans und deutsche Ingenieure in bunten Hemden erheben sich augenblicklich und streben dem Ausgang zu. Etwas verängstigt in dieser Herde greift die Kleine nach der Hand ihres Vaters:
»Kommst du, Papa?«
»Nein. Das geht nicht. Wir müssen uns jetzt trennen.«
»Noch nicht, bitte! Komm doch mit!«
»Na gut. Als Polizist darf ich dich bis zur Treppe begleiten. Aber ins Flugzeug kann ich nicht mit einsteigen.« Der Asphalt des Flugplatzes brennt unter der glühenden Sonne. Die Passagiere des Fluges CP 29 begeben sich zur Maschine. Voran eine dicke Chinesin mit ihrer Kinderschar. Dahinter der Leutnant, Somwang und seine Tochter. Der marineblaue Faltenrock flattert um ihre kleinen Beine. Mit einer Hand klammert sie sich an ihren Vater, mit der anderen drückt sie die Puppe an sich.
»Warum kommst du nicht mit uns, Papa?«
»Das weißt du doch! Ich kann nicht. Ich arbeite hier!«
»Du könntest doch morgen schon wieder zurückfliegen?«
»Das ist zu anstrengend.«
»Du ruhst dich bei Mama aus!«
»Ich habe keine Flugkarte.«
»Du mußt bloß schnell eine kaufen!«
Die Kleine steht an der Gangway. Ihr Vater beruhigt sie: »Jetzt sei schon vernünftig. Du weißt doch, daß es nicht geht. Und du bist ja auch nicht allein. Somwang ist bei dir.« Aber das Kind weint und will nicht einsteigen. »Bitte machen Sie den Weg frei!« verlangt von oben die Stewardeß.
»Nun sei schön lieb«, sagt die junge Somwang und streichelt den Kopf des traurigen Mädchens. »Dein Papa kommt sicher bald nach Hongkong. Nicht wahr, Sie kommen bald?«
»Ja ja, natürlich!«
Der Vater tritt ein paar Schritte zurück. Somwang greift nun energisch die Hand der Kleinen und zieht sie die Treppe hinauf. Die Tochter hat nur Augen für den Vater und sucht seinen Blick. Er aber — sieht sie gar nicht. Er sieht nur den Schminkkoffer aus schwarzem Leder, den Somwang in der Hand hält. Er sieht nicht oder will nicht sehen, wie das Kind weint und die Hand austreckt. Er sieht nur den Koffer.
Als der Lederkoffer, Somwang und das Mädchen endlich in der Maschine sind, macht der Leutnant kehrt. Er schaut auf seine Uhr und stellt sich vor, wie seine junge Geliebte, die hübsche Somwang, gerade über sich auf der Gepäckablage ein abgeschlossenes Lederköfferchen deponiert, das sie
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