Der Mann der nicht zu hängen war
prophetischer Traum einen Fehler! Die Dakota, der Schnee- oder Hagelsturm, die Felsen, das tobende Meer, der Tagesanbruch — alles richtig. Aber es sind drei Männer!
Jetzt verläßt der Co-Pilot die Kanzel. Er reißt noch die Ausstiegsluke auf und kriecht dann ebenfalls ganz hinten ins Heck. Rosen, der Captain, versucht, die Maschine einigermaßen heil herunterzubringen. Und tatsächlich: Die Bruchlandung gelingt. Erst ein Aufprall, dann noch einer, wuchtiger, ohrenbetäubendes Schleifen und Knirschen, schließlich Stille, Totenstille. »Schnell, raus!« Primrose findet seinen Befehlston wieder und ordnet an: »Weg von hier! So schnell wie möglich! Das Flugzeug kann jeden Moment explodieren!« Doch der Captain liegt noch in seinem zertrümmerten Cockpit, ohnmächtig, mit gebrochenen Beinen. Primrose steigt nochmals in die Maschine, befreit ihn vom seinem Gurt und trägt ihn hinter einen Felsen. Eine Sekunde später steht das Flugzeug in Flammen. In diesem Augenblick schaut Sir James Primrose den jungen Inder an — er sieht ihn an mit unendlicher Dankbarkeit.
Auch wenn man nicht abergläubisch sein will, auch wenn man niemals an Übersinnliches geglaubt hat — es gibt doch Zufälle, die einen verwirren können. Besonders dann, wenn — von einem einzigen Detail abgesehen — ein Traum zur fürchterlichen Wirklichkeit wird.
Judmaiers Rettung
E s ist der 26. September 1970, kurz nach Mittag. Zwei Männer schauen in die Weite des afrikanischen Busches rund um den Mount Kenia: Oswald Oelz und Gerd Judmaier, 24 und 29 Jahre alt. Beide sind Mediziner. Oswald Oelz arbeitet in Zürich in der Forschung, sein Freund Gerd Judmaier bereitet sich in Innsbruck auf sein Facharztexamen vor. Beide sind Österreicher und begeisterte Bergsteiger.
Judmaier und Oelz klettern seit vier Jahren zusammen. Aber noch nie haben sie einen Berg solchen Kalibers bezwungen! Der Mount Kenia. 5199 Meter hoch, bietet einen phantastischen Anblick: ein einzigartiger Berg, der aus dem tropischen Busch aufsteigt, direkt am Äquator, und dessen schneebedeckter Gipfel in den Wolken verschwindet. Daß sie ihn bezwungen haben, ist für sie der Höhepunkt ihres bisherigen Bergsteigerlebens.
Um 14 Uhr beginnen die beiden Männer mit dem Abstieg und erreichen bald danach, gut dreißig Meter tiefer, einen kleinen Felsvorsprung. Oswald Oelz sucht eine geeignete Stelle im Gestein für einen Sicherungshaken. Gerd Judmaier beugt sich ein wenig über den Abgrund und hält Ausschau nach einer günstigen Abseilmöglichkeit. Plötzlich ein durchdringender Schrei — Oelz fährt herum..., Judmaier! Der kleine Felsvorsprung, auf dem der Kamerad gestanden hatte, war abgebrochen. Der Bergsteiger stürzt ab. Oelz’ Hände umklammern das um seinen Körper laufende Seil. Wie durch ein Wunder gelingt es ihm, den fürchterlichen Ruck ohne Standsicherung abzufangen, das Sicherungsseil zu fixieren und so den Absturz über die gesamte Wand zu verhindern.
Und hier beginnt eine der erstaunlichsten Geschichten des Alpinismus. Gut. Das Seil wäre also fixiert. Der Abstieg ist äußerst gefährlich und mühevoll, doch schließlich ist Oelz bei seinem Freund angelangt. Er lebt noch. Dem Himmel sei Dank! Er liegt auf einem kleinen Absatz im Fels. Judmaier blutet am Kopf, aber Oelz erkennt sofort, diese Verletzung ist nicht besonders ernst. Eine einfache Platzwunde. Viel schlimmer aber sieht das rechte Bein aus. Ein offener Bruch, vermutlich sogar Splitterbruch des Oberschenkels. Die Wunde blutet stark, und Oelz bindet sofort das Bein seines Freundes ab.
Beide sind Mediziner. Beide wissen ganz genau, wie ernst die Lage ist.
»Oswald, das hat doch keinen Sinn mehr. Mit mir ist’s aus.«
»Blödsinn. Was heißt hier aus? — Wir schaffen’s schon.«
Oelz versucht, seinem Freund Mut zu machen — aber was kann er ihm schon sagen? Am wichtigsten ist es jetzt, etwas zu unternehmen, und zwar so schnell wie möglich. Nur: Was kann er, Oelz, in dieser Situation unternehmen? Die Lage ist in der Tat bedrohlich. Sicher, in der Schweiz oder in Österreich, da gäbe es eine Menge erfahrener Alpinisten, die mit allen Rettungsmethoden vertraut sind. Da wäre eine schnelle Hilfe möglich. Aber hier in Kenia? Hier gibt es nicht einmal eine ernstzunehmende Bergwacht. Und nur Fachleute hätten eine Chance, Judmaier hier herunterzuholen — wenn überhaupt.
Oelz überlegt. Bis man eine Gruppe von Bergsteigern alarmiert, gesetzt den Fall, sie sind überhaupt aufzutreiben... Und bis
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